Nachgefragt bei Tobias Schubert, Co-CEO von Farmy

Digitaler Handel Nachgefragt bei Tobias Schubert, Co-CEO von Farmy

Publiziert am 20.01.2021 Philippe Mettler, Digital Commerce Consultant, Post CH AG

Farmy liefert Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs von verschiedenen Herstellern direkt zu den Konsumenten. Auch Corona-bedingt erreichte Farmy 2020 im Vergleich zum Vorjahr ein gewaltiges Wachstum von 170 Prozent. Wir haben bei Tobias Schubert, Co-CEO bei Farmy, nachgefragt, um mehr zu erfahren und gemeinsam einen Blick in die Zukunft zu wagen.

Tobias, wenn du einen Blick auf das letzte Jahr wirfst, was waren für euch die spannendsten Learnings?

Wir hatten das Gefühl, dass wir gut vorbereitet sind für alle Eventualitäten. Aber von einigen Entwicklungen wurden wir dann doch überrannt. Neben sehr vielen Neukunden die wir gewinnen konnten, hat sich das Kaufverhalten verändert. Die bestellten Mengen wurden deutlich grösser und die Zusammenstellung der Warenkörbe hat sich geändert. Wir hatten beispielsweise zeitweise ein riesiges Wachstum bei Trockenprodukten. Das hat unser stark gefordert. So mussten Mitarbeitende zum Teil andere Aufgaben übernehmen als gewohnt. Zudem eignet sich nicht jeder Lagerort für alle Produkte. Hier war grosse Flexibilität gefordert.

Es war oft schwierig die Verfügbarkeit von Produkten richtig zu planen. Wir arbeiten vor allem mit frischen Produkten, mit einer Vielzahl von Produzenten. Wir wollen unsere Lagerbestände gerade bei frischen Produkten klein halten, um Foodwaste zu verhindern. So kam es vor, dass wir nicht immer alle Produkte liefern konnten.

Das ist gerade im Onlinehandel doppelt ungünstig. Wenn in einem stationären Geschäft ein Produkt ausverkauft ist, dann ist das für die Kunden zwar ärgerlich, aber sie greifen dann vielleicht zu einem alternativen Produkt, oder lassen den Artikel aus. Wird aber ein Artikel, den ein Kunde vor Tagen online bestellt hat, einfach nicht geliefert, ist das frustrierend.

Wir konnten so unserem Qualitätsanspruch bezüglich Service nicht immer gerecht werden. Trotzdem haben wir versucht ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Verarbeiten von möglichst vielen Bestellungen und einer möglichst hohen Servicequalität.

Hattet ihr viele Reklamationen von Kunden?

Es gab Beschwerden. Aber die allermeisten Kunden hatten sehr grosses Verständnis für unsere Situation. Im Gegenteil wir haben viele tolle Reaktionen erhalten.

Dann hat euch also eher die Verfügbarkeit der Produkte limitiert als eure Kapazität bei der Verarbeitung der Bestellungen?

Es spielt beides eine Rolle. Wir hatten aber das Glück, dass wir sehr rasch neue Mitarbeitende gewinnen konnten, vor allem auch aus Branchen, die während des Lockdowns komplett stillstanden. Dennoch brauchte es eine gewisse Einarbeitung. Auch unsere Lagerkapazitäten kamen an ihre Grenzen, so dass wir über weite Strecken schlicht nicht mehr Bestellungen hätten verarbeiten können. Entsprechend lang waren die Wartezeiten für freie Lieferfenster.

Auch die Tatsache, dass der durchschnittliche Warenkorb massiv grösser wurde, war eine Herausforderung. Es wurde zum Beispiel viel mehr Mineralwasser und natürlich auch Toilettenpapier bestellt. Dies führte zu vielen Voluminösen und schweren Bestellungen. Das waren wir uns nicht in dem Ausmass gewohnt. Wir mussten unsere Planung komplett neu ausrichten.

Wie viel von dem geänderten Kaufverhalten wird aus eurer Sicht bleiben?

Wir stellen fest, dass viele Änderungen im Kaufverhalten nicht dauerhaft sind. Was wir aber schon merken ist, dass sich die Kunden daran gewöhnt haben, online Lebensmittel einzukaufen. Und wir sind sicher, dass das auch so bleiben wird.

Wenn wir heute in eine Coop oder Migros Filiale gehen, finden wir uns sofort zurecht. Das ist für Kunden, die das erste Mal online einkaufen, anders und sie müssen sich zurechtfinden. Viele Kunden haben diesen Schritt Corona-bedingt nun aber gemacht und werden immer effizienter beim Online-Einkauf. So kann der Wocheneinkauf mit den mehr oder weniger immer gleichen Artikeln sehr effizient online abgewickelt werden. Die Kunden nehmen beispielsweise den Warenkorb von letzter Woche, passen einige Produkte an und in wenigen Minuten ist der Einkauf erledigt.

Gleichzeitig hat gerade das Einkaufen von Lebensmitteln auch mit dem Erlebnis zu tun. Wir sind daher sicher, dass sich unsere Lieferanten mit dem Verkauf auf Farmy nicht selbst konkurrieren. Der Online-Einkauf ist nicht die Alternative für den Besuch des Hofladens oder des Wochenmarkts. Auch der stationäre Handel wird sich noch mehr auf Erlebnisse fokussieren. Zu sehen ist dies an den neuen Ladenkonzepten der Detailhändler. Nicht mehr die reine Menge an Produkten steht im Vordergrund, sondern das Erlebnis.

Letztes Jahr seid ihr um sagenhafte 170 Prozent gewachsen. Andere E-Food-Anbieter erlebten in dieser Zeit ebenfalls ein starkes Wachstum. Coop beispielsweise von rund 40 Prozent. Wie habt ihr es geschafft, deutlich mehr zu wachsen als die Konkurrenz?

Das gibt verschiede Gründe. Ein wichtiger Faktor ist aber sicher unsere Flexibilität als Startup und die interne IT-Kompetenz. Alle Prozesse werden von unseren intern entwickelten IT-Systemen gemanagt und das erlaubt uns sofort zu reagieren und innerhalb weniger Tage grundlegende Anpassungen in Prozessen vorzunehmen. Wachstum und Agilität sind tief in unserer DNA.

Entscheidend war auch die Tatsache, dass wir nur einen kleinen Teil der Produkte bei uns am Lager haben. Das meiste kommt direkt von den Produzenten über unsere Hubs in Zürich-Altstetten oder in Lausanne-Ecublens am gleichen Tag zu den Endkunden. So konnten wir deutlich einfacher ein viel grösseres Volumen verarbeiten. Das ist bei den Grossverteilern anders. Wachsen diese im Onlinegeschäft, müssen sie sofort die Infrastruktur erweitern. Zudem wurden Kapazitäten bei vielen unserer Produzenten frei, da beispielsweise die Gastronomie komplett stillstand. So konnten wir grössere Mengen beziehen.

Vor Corona war der E-Food-Anteil in der Schweiz sehr klein, um die 2 Prozent. Bei welchem Anteil werden wir aus eurer Sicht in den nächsten Jahren landen?

Nun, das ist natürlich schwer zu sagen. Ich denke aber schon, dass wir in den nächsten Jahren Anteile von vielleicht 10 Prozent und bis 2030 20 Prozent erreichen werden. Gerade das Einkaufen von Gütern des täglichen Bedarfs wird online so viel effizienter. Ich bin sicher, das wird sich durchsetzen.

Eine grosse Herausforderung im E-Food Bereich ist ja die Logistik. Die Produkte benötigen verschiedene Temperaturbänder. Zudem sind viele Produkte fragil. Somit ist die Logistik immer vergleichsweise teuer und aufwändig. Welche Konzepte werden sich aus eurer Sicht durchsetzen?

Ja, die Logistik ist tatsächlich eine Herausforderung. Fast alle unsere Produkte sind unterschiedlich.

Uns scheint wichtig, den Kreislauf der Verpackungen schliessen zu können. Das heisst, wir benötigen Verpackungen, die einfach wiederverwendbar und einfach zu reinigen sind. Einwegverpackungen benötigen zu viele Ressourcen. Das gilt auch für Papiersäcke. Das bedeutet aber, dass die Logistikkette nicht nur zum Kunden geht, sondern auch wieder zurück.

Auslieferung in den Fahrzeugen, in denen wir den Platz effizient nutzen wollen, wie auch leer Zuhause bei den Kunden. Unsere Kunden haben nicht Platz, um irgendwo grosse Kisten zu stapeln. Das heisst, die Verpackungen sollten zusammengefaltet werden können. Erste Pilotversuche dazu haben wir bereits in Lausanne zusammen mit der Post gemacht. Covid-bedingt haben wir diesen Pilotbetrieb unterbrochen. Wir werden das Thema aber sicher weiterverfolgen.

Ich habe kürzlich gelesen, dass ihr beginnt die Software, die ihr in den letzten Jahren entwickelt habt, auch weiteren Unternehmen anzubieten. Das ist ein komplett neues Geschäftsfeld. Heisst das, dass Farmy in Zukunft mehr ein Software- und Service unternehmen wird, als ein E-Food Retailer?

Nun, wir haben mit der Eigenentwicklung der Software begonnen, weil wir unter anderem keine passende Lösung für Lebensmittel auf dem Markt gefunden hatten. Bestehende Lösungen mit dem nötigen Umfang sind schlicht viel zu teuer und zu unflexibel für ein Startup. Wir sind sicher, dass das auch noch anderen Unternehmen so geht. Mittlerweile haben wir eine umfassende und sehr flexible System-Landschaft aufgebaut. Das hat sich besonders auch während des Lock-Downs gezeigt. Wir sehen nach wie vor eine Marktlücke im Segment eFood mit dezentralen Fulfilment-Strukturen. Für Player, die aus bestehenden Offline-Verkaufsflächen, dezentralen Hub-Netzwerken oder Produktionslagern kommissionieren und regional ausliefern wollen, gibt es kaum was auf dem Markt. Wir bieten hier ein Bündel an IT-Lösungen an, das alles bietet, was ein Lebensmittelunternehmen braucht, um das Angebot zu digitalisieren.

Farmy bleibt im Kern das, was es auch heute ist, und als Marke nach aussen wird der Endkonsument Farmy immer als den Online-Markt wahrnehmen. Das neue Geschäft wird unter der Marke «Farmy eFood Solutions» geführt und wohl nur der Lebensmittelszene auf B2B-Ebene bekannt sein.

Wir verstehen die Bedürfnisse unserer Softwarekunden so gut, weil wir im selben Boot sitzen. Wir verstehen genau, welche Auswirkungen Anpassungen in der Software auf den Betrieb haben. Diesen Vorteil haben nicht viele Softwarehersteller.

Habt ihr nicht Angst, dass ihr an Flexibilität verliert, wenn ihr nun auch die Bedürfnisse Dritter in die Software einbauen müsst?

Nein. Bereits heute haben wir in der Deutschschweiz andere Rahmenbedingungen als in der Romandie. Das ist also nicht neu für uns. Im Gegenteil, wir sind sicher, dass wir von der Zusammenarbeit profitieren werden und uns gemeinsam weiterentwickeln.

Vielen Dank für den interessanten Einblick bei Farmy und weiterhin viel Erfolg!

Tobias Schubert

Co-CEO von Farmy

Philippe Mettler – Interviewer

Philippe Mettler, Digital Commerce Consultant bei der Schweizerischen Post, verfügt langjährige Erfahrung in der Beratung und Projektumsetzung, insbesondere in den Bereichen E-Commerce, Web und PIM. Er besitzt umfangreiche praktische Kenntnisse mit Kunden aus verschiedensten Branchen. Mit diesem Wissen hilft er unseren Kunden sich im digitalen Reifegrad weiter zu entwickeln und erfolgreich im Digital Commerce zu agieren.

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