E Food Fulfillment Lagerung und Picking

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Blogserie Teil 3 E-Food Fulfillment: Lagerung und Picking

Publiziert am 20.10.2022 von Dr. Matthias Schu, E-Food-Experte & Autor

Im Lebensmittelonlinehandel gelten die Prozesskosten als die Achillesferse in punkto Profitabilität. Neben der letzten Meile schlagen vor allem die Kosten für die Warenkommissionierung zu Buche. Dieser Beitrag stellt die gängigsten Picking-Modelle vor.

Generelle Optionen im Fokus

Im Onlinelebensmittelhandel sind im Allgemeinen sämtliche Optionen von Lagerung und Kommissionierung denkbar, sofern sie den gesetzlichen Regularien von Lagerung und Kühlkette entsprechen.

Die gängigste Unterscheidung findet jedoch nach dem gewählten Lagerort statt: Grundsätzlich wird zwischen Lagerung und Picking in einem Laden mit Kundenfrequenz – wie es bei einem Multi- oder Omnichannelhändler der Fall sein kann – und einem Lager ohne Kundenzugang unterschieden. Damit ergeben sich die folgenden Handlungsoptionen:

  • Kommissionierung im Laden/Store
  • Kommissionierung im Dark Store/Lager
  • Kommissionierung im Laden mit angeschlossenem Micro-Fulfillment-Center (MFC)
  • Kommissionierung in einem vollautomatisierten, zentralen Fulfillment-Center (CFC)
E-Food-Kommissioniermodelle in der Schweiz

Kommissionierung im Laden/Store

Die Kommissionierung in einem bestehenden Laden, respektive Store, stellt die am einfachsten realisierbare und zu Beginn kostengünstigste Option dar, um als Händler in das weite Feld des E-Foods eizusteigen. Da die Rahmenbedingung zur Nutzung dieses Modells jedoch «vorhandener Laden» – oder besser – «vorhandenes Ladennetzwerk» heissen, liegt diese Option primär im Lösungsraum klassischer, stationärer Händler.

Diese sind auch oftmals in der Anfangszeit die Klientel, die eine solche Fulfillment-Lösung für den Einstieg nutzt. Bei der Kommissionierung im Store bewegen sich die Picker durch die Regalreihen im Laden und picken die Bestellung des Kunden händisch zusammen. Im Normalfall bearbeitet ein Picker dabei eine Bestellung, und die Bestellungen werden nacheinander abgearbeitet. Multi-Order-Picking im Store, also das gleichzeitige Picken mehrerer Bestellungen durch ein und denselben Picker, ist bisher bei vielen Anbietern eher noch die Ausnahme. Eine Unterstützung des Pickers durch eine Handscanner-Lösung mit Display, die Artikel und zu pickende Menge anzeigt und den Picker nach Möglichkeit ebenfalls halbwegs laufwegsoptimiert von Zone zu Zone lotst, gehört zwischenzeitlich zum Standard. Die zum Picken eingesetzten Kräfte sind oftmals im Laden angestellt und nehmen die Onlinebestellungen in ihrem Arbeitsalltag mit.

Als Vorteil dieses Ansatzes wird angeführt, dass Implementierungs- und Fixkosten (Laden ist bereits vorhanden, allenfalls erhöht sich durch das zusätzliche Onlinevolumen sogar die Flächenproduktivität respektive können schlecht laufende Filialen wieder durch Zusatzumsatz hochgezogen werden) für den Einstieg in den Onlinelebensmittelhandel vergleichsweise gering ausfallen.

Gerne wird dieser Ansatz auch mit Pick-up-Modellen kombiniert, bei denen die Kundschaft den bestellten Einkauf selbst abholt. Allerdings entspringt dieses «buy online, pick up in store» genannte Modell weniger einem Kundenwunsch, sondern der Scheu vieler Händler vor Komplexität und Kosten der letzten Meile. Kunden wünschen sich bei E-Food wenn immer möglich die Lieferung nach Hause.

Als grosser Nachteil dieses Ansatzes darf angeführt werden, dass sich ab einem bestimmten Bestellvolumen oftmals die stationär einkaufenden Kunden von einer Armada von Pickern für die Onlinebestellungen gestört und beengt fühlen. Oder im schlimmsten Fall eine Konkurrenz um die gleichen Produkte im Regal zwischen Picker und stationärem Kunden entsteht, dies aufgrund mangelnder Warenverfügbarkeit und out-of-stock wegen meist fehlender bestandsgenauer Lagerführung. Zudem ist durch bestehende Platzrestriktionen im Laden die Anzahl der wöchentlichen Bestellungen oftmals recht schnell erreicht. Dies könnte ein Händler jedoch partiell noch umgehen, indem er weitere Stores mit gleichem Sortiment zum Picken in einer Region nutzt und die Bestellungen quasi auslastungs- und distanzoptimiert auf seine Stores verteilt.

Kommissionierung in einem Dark Store/Lager

Sind die Kommissioniervolumen bei Store-Picking-Ansätzen steigend respektive streben sie unweigerlich in Richtung Obergrenze, erfolgt in der Handelspraxis oftmals der Wechsel in einen Dark Store. Im Dark Store – was nichts anderes als ein Lager zum Kommissionieren meint – können alle Prozesse und Laufwege im Vergleich zum Picking im Laden maximal optimiert werden. Vor allem die Laufwege sind hierbei – anders als im Store – auf Effizienz und nicht auf eine maximal lange Verweildauer ausgelegt. Als Resultat steigt die Picking-Effizienz an, und der Pick-Vorgang kann beschleunigt werden. Zudem wird eine Bestellung meist in verschiedenen Zonen parallel gepickt und dann in einer Verdichtungszone zum Ende des Pick-Vorgangs zusammengeführt. Auch ist es heutzutage technisch möglich, dass ein Picker in einer Zone mehrere Bestellungen parallel pickt (so genanntes «order batching»). Dies ist zwar ebenfalls beim Store Picking denkbar und technisch umsetzbar, findet in der Praxis jedoch noch nicht so häufig Anwendung. Neben effizienteren Abläufen spricht für Dark Stores, dass sie nicht mit paralleler Kundenfrequenz auskommen müssen.

Genau wie beim Store Picking ist der Automatisierungsgrad jedoch meist gering, die Picker bewegen sich durchs Lager und picken die Bestellungen mit vergleichsweise hohem manuellem Aufwand zusammen. Daher verwundert es nicht, dass in der Handelspraxis – gerade in Ballungsgebieten, in denen Logistikfläche tendenziell teurer wird – teilweise schlecht laufende grosse Stores in der Agglomeration geschlossen und zu Dark Stores zum Abarbeiten der wachsenden Menge von Onlinebestellungen umfunktioniert werden.

Kommissionierung im Store mit angeschlossenem MFC

Ein neuer, vielversprechender Trend im Fulfillment von online bestellten Lebensmitteln besteht in der Implementierung von so genannten Micro-Fulfillment-Centern (MFC). Diese besitzen ca. seit dem Jahr 2018 Marktreife. MFCs verbinden quasi die Vorteile aus zwei Welten, die die Gegenpole eines Kontinuums darstellen: Geschwindigkeit von lokalem Picking hinsichtlich letzter Meile/Abholung durch vergleichsweise kurze Wege der Bestellung zum Kunden mit Skalierungs- und Kostenvorteilen von Automatisierung. Idealerweise werden die MFC im Omnichannel-Kontext in Kombination mit stationären Filialen eines Händlers genutzt. Dabei wird der stationäre Laden um ein MFC ergänzt. Zusätzlich zur bestehenden Ladenfläche gibt es so einen getrennten Kommissionierbereich für Onlinebestellungen, in dem die Ware mit Hilfe von Automatisierungslösungen effizient und platzsparend gelagert und dann mit Hilfe von Pick-Stationen nach Bedarf wieder ausgelagert wird. Diese Micro-Fulfillment-Center sind zudem in verschiedene Kühlzonen unterteilt, um optimale Lagerbedingungen zu gewährleisten.

Im Vergleich zu herkömmlicher Kommissionierung im Store ist diese Variante bis zu drei Mal schneller beim Picking und bietet eine wesentlich höhere Kommissionier-Effizienz und damit geringere Kosten pro Warenkorb, die es aus Händlersicht zu decken gibt. Zudem ist eine Kombination mit dem vorhandenen und teilweise regionalen oder lokalen Sortiment im Store denkbar. Bei einem durchschnittlichen Megastore-Sortiment von 30 000 bis 35 000 SKUs können Schnelldreher, die oft in Onlinebestellungen nachgefragt werden, im Micro-Fulfillment-Center gelagert werden, während Artikel mit Longtail-Charakter bei Bedarf noch aus dem Store dazugepickt werden.

Auch weitere Ultra-Frischeartikel, wie beispielsweise frisches Hackfleisch oder weitere Produkte aus der Metzger-, Fisch- oder Käsetheke, können so noch hinzugefügt werden und als Differenzierungskriterium gegenüber Wettbewerbern dienen. Durch diesen Shift und eine starke räumliche Trennung von Online- und stationärem Geschäft wird zudem der Kundenfluss im Laden kaum mehr beeinträchtigt. Auch können die Personalkosten für das Kommissionieren der Onlinebestellungen durch das automatisierte Picking gering gehalten werden. Micro-Fulfillment-Center haben einen vergleichsweisen geringen Platzbedarf und sind schon ab einer Fläche von 800 Quadratmetern möglich.

Durch die erhöhte Pickleistung eröffnen sich auch auf der letzten Meile neue Möglichkeiten. Einerseits kann der Kundschaft mit Click & Collect ein Pickup-Service angeboten werden, bei dem sie zum Beispiel innerhalb einer Stunde nach Bestelleingang den Wocheneinkauf selbst abholen kann. Andererseits kann sie bei Heimlieferung von verbesserten Cut-off-Zeiten profitieren, so bei Bestellung und Lieferung am gleichen Tag innerhalb von zwei bis drei Stunden. Zudem kann die Kombination aus Store und angeschlossenem Micro-Fulfillment-Center gleichzeitig als Auslieferbasis für die letzte Meile mit eigenen Fahrzeugen dienen, so innerhalb eines Ballungsraums. Anders als bei einem «Hub-and-Spoke»-Konzept, das oftmals bei grossen Lagern eingesetzt wird, entfällt damit die Umladung zur Feinverteilung, und es können weitere Logistik- und Fahrtkosten durch die dezentrale Struktur eingespart werden.

Kommissionierung in einem Central-Fulfillment-Center (CFC)

Die letzte Option, die für effiziente Prozesse bei grossen Bestellvolumen sorgt, besteht in der Implementierung eines vollautomatischen Central-Fulfillment-Centers (CFC). Generell lassen sich für die Nutzung eines Central-Fulfillment-Centers dieselben Argumente anführen, die auch im Kleinen für ein Micro-Fulfillment-Center (MFC) gelten:

  • höhere Produktivität der Mitarbeitenden beim Picking
  • verbesserte Pickgenauigkeit, dadurch weniger Fehler
  • verbesserte Arbeitsbedingungen an ergonomisch eingerichteten Pickplätzen
  • verbesserte Ausnutzung des vorhandenen Lagerplatzes und damit bessere Flächenproduktivität
  • durch automatisiertes Picking deutlich kürzere «Lead Times» und in Folge ein höheres Servicelevel gegenüber den Konsumentinnen und Konsumenten

Die Implementierung eines vollautomatisierten Central-Fulfillment-Centers wird oftmals als die beste Chance für E-Food Pure Player ohne eigenes Ladennetzwerk gesehen, um langfristig profitabel zu agieren. Insbesondere in Kombination mit einer eigenen Auslieferflotte sind hier hohe Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen realisierbar, die nachhaltig auf den Deckungsbeitrag des Händlers durchschlagen und so gute Chancen bieten, mit E-Food über entsprechende Automatisierung und Skalierung als Händler sehr wohl Geld zu verdienen.

Dem gegenüber stehen allerdings ein hoher Kapitaleinsatz zur Implementierung, eine lange planerische Vorlaufzeit sowie eine klare Fokussierung auf Wachstum und weitere Bestellzunahme. Da im meist eher kurzfristig geprägten Denken von Händlern in einem Zeitraum von maximal 12 bis 18 Monaten der Break-even erreicht werden muss, stellt ein vollautomatisiertes Lager für den Business Case meist eine rechnerische Challenge dar.

Allerdings zeigen auch Player wie beispielsweise Picnic im Heimatmarkt Niederlande, Frisco in Polen, Rewe mit Scarlet One in Köln, aber auch Ocado, Kroger, Groupe Casino oder Morrissons, dass sich dieses Invest durchaus rechnen kann. So nutzt Kroger CFCs, um die Ostküste der USA nach und nach durch den Onlinelebensmittelhandel für sich zu erschliessen – und zwar in einem Gebiet, in dem Kroger keine Präsenz durch eigene Filialen aufweist. Insgesamt ein transformativ kluger Schachzug.

Modelle und ihre Kosten im Vergleich

Die oben dargestellten Modelle zum Picken von Online-Lebensmittelbestellungen unterscheiden sich primär hinsichtlich Implementierungskosten, Pickeffizienz pro bearbeiteter Bestellung sowie der Menge an Bestellungen, die mit dem jeweiligen Modell gehandhabt werden können.

In Abhängigkeit des Marktpotenzials und erwarteter Anzahl Bestellungen pro Woche hat die Wahl des Fulfillment-Modells durchaus einen entscheidenden Einfluss auf die Fix- sowie die Prozesskosten und damit letztendlich auch auf die Profitabilität bei E-Food. Grosser Treiber dabei ist die so genannte Fixkostendegression, also die Verteilung der fixen Kosten des Fulfillments auf die einzelne Bestellung: Mit zunehmender Ausbringungsmenge sinkt der Anteil der fixen Kosten, die der einzelnen Bestellung zugerechnet werden. Je nach gewähltem Modell und den daraus resultierenden Anschaffungskosten für das gewählte Lagermodell wirkt sich diese Fixkostendegression überproportional stark auf die Unit Economics – also die durchschnittlichen Kosten pro Bestellung – aus, die im Normalfall zur Deckungsbeitragskalkulation herangezogen werden.

Hierbei liegt die Gefahr insbesondere darin, dass bei einer schlechten Auslastung des gewählten Fulfillment-Modells der tendenziell höhere Fixkostenanteil pro Bestellung den zu erzielenden DB und letztendlich den EBIT stark erodiert oder sogar negativ werden lässt. Als Faustregel gilt, dass das Ausbringungsvolumen des gewählten Modells sich auch mit der Strategie des Unternehmens im jeweiligen Zeitraum decken sollte.

Fulfillment-Lösungen im Vergleich

Dabei sind es i.d.R. bei den Ansätzen, die nicht in einem Store picken, vor allem das Handling von Über- und v.a. auch Unterkapazitäten, die kostenseitig schnell als Ausreisser zu Buche schlagen. Des Weiteren ist neben der Höhe der Investition für das entsprechende Lagermodell ebenfalls der Implementierungszeitraum zu beachten: Standortwahl und das Finden von geeigneten Immobilien sind im DACH-Raum bereits zur Challenge geworden. Genehmigungsverfahren seitens Behörden können ein Lagerum- oder Ausbauprojekt weiter erheblich verzögern.

Hinsichtlich des zu wählenden Modells gilt es festzuhalten, dass es nicht DAS eine präferierte Fulfillment-Modell gibt. Das gewählte Modell muss immer zu Gegebenheiten, Strategie und angepeilter Ausbringungsmenge des Anbieters passen. Trotz hoher Lohnkosten sind in der Schweiz Automatisierungslösungen jedoch bisher kaum anzutreffen.

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