Stationär vs. E-Commerce – was ist klimafreundlicher?

Symbolbild Autobahn bei Nacht

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Nachhaltigkeit Stationär vs. E-Commerce – was ist klimafreundlicher?

Publiziert am 22.12.2021 von Philippe Mettler, Leiter Digital Commerce bei der Schweizerischen Post

Die Gambio-Gruppe hat eine unabhängige Studie zum Vergleich des CO2-Ausstosses im stationären und digitalen Handel in Auftrag gegeben. Dr. Felix Hötzinger, Geschäftsführer der Gambio GmbH, und Philippe Mettler, Leiter Digital Commerce bei der Post, im Gespräch über die wichtigsten Resultate.

Die Nachhaltigkeit rund um den Online-Handel wird intensiv diskutiert. Nicht zuletzt wegen der vielen Retouren hat der digitale Handel einen schlechten Ruf. Woher kommt das?

Dr. Felix Hötzinger: Es kommt natürlich immer darauf an, wen Sie fragen, und auf das individuelle Kaufverhalten. Entsprechend ist die ja meist subjektive Wahrnehmung geprägt.

Das ist ja auch der Grund, warum wir diese Studie beauftragt haben: um die Faktenlage hinsichtlich der Klimawirkungen des E-Commerce im Vergleich zum stationären Handel zu kennen, nicht jedoch für eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsbetrachtung im Sinne der drei Säulen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Themen wie CO2-Emissionen und Umweltaspekte spielen beim Einkaufserlebnis im stationären Handel meist keine Rolle, während die Wahrnehmung beim Blick auf den Verpackungsmüll oder die ausliefernden Fahrzeuge beim Online-Versand natürlich eine ganz andere ist: Die Umweltauswirkungen werden hier stärker sicht- oder sogar haptisch greifbar. Zudem wird dies gerne reichweitengenerierend in den Medien polarisiert – aber jeder macht seinen Job, das soll keine Medienschelte sein.

Dass der Online-Handel aufgrund seiner Wachstumsraten im Fokus steht, ist vollkommen in Ordnung. Dennoch sind auch folgende Zahlen zur Einschätzung wichtig: 2020 lag der E-Commerce-Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz in Deutschland bei 11,2 Prozent, im Bereich Elektronik oder auch Mode wird bereits mehr als jeder dritte Euro online umgesetzt.

Am Ende gilt es, vor allem im Bereich Klima für die nächsten Generationen gesamthafte Lösungen zu finden, um unseren Planeten nicht noch weiter zu gefährden. Daher müssen wir alle sinnvoll optimieren. Wir wollen auch mit der Studie keine Front aufbauen, im Gegenteil. Dennoch ist es wichtig, die geltenden Mythen durch Daten und Fakten zu ersetzen.

Sie haben in der Metastudie insbesondere die Differenzen zwischen dem stationären Handel und dem E-Commerce im Bereich des CO2-Ausstosses betrachtet. Wo liegen die Hauptdifferenzen? Und welches sind die zentralen Faktoren?

Sieht man sich die erarbeiteten Mythen und die Antworten darauf an, ist schnell zu erkennen: Die Ergebnisse unterscheiden sich gravierend. Ohne jetzt viele Zahlen aus der Studie als Referenz zu nutzen, um die Leser:innen nicht zu langweilen – die Hauptdifferenzen sind so am besten abzulesen:

Mythos 1: Stationärer Handel ist klimafreundlicher als E-Commerce!

Studienergebnis: Häufig ist der Kauf von Produkten im E-Commerce klimafreundlicher als im stationären Handel!

Mythos 2: Der Online-Handel führt zu erhöhtem Verkehrsaufkommen!

Studienergebnis: Der E-Commerce führt netto zu einem verringerten Verkehrsaufkommen!

Mythos 3: Die hohe Retourenquote ist massgeblich für die schlechte Klimabilanz des E-Commerce verantwortlich!

Studienergebnis: Die hohe Retourenquote wirkt sich kaum auf die gesamthafte Klimabilanz des E-Commerce aus!

Mythos 4: Aufgrund des zusätzlichen Verpackungsmülls hat der E-Commerce eine schlechte Klimabilanz!

Studienergebnis: Der erhöhte Verpackungsbedarf im E-Commerce wirkt sich negativ auf dessen Klimabilanz aus, allerdings nur in geringem Ausmass!

Mythos 5: Der Energiebedarf des E-Commerce ist höher als der des stationären Handels!

Studienergebnis: Der Energiebedarf im stationären Handel ist insbesondere aufgrund der Gebäudeemissionen höher als im E-Commerce!

Fairerweise wurden bei der Studie sämtliche Besonderheiten beider Handelsformen, sowohl die Besonderheiten des E-Commerce als auch die des stationären Handels, berücksichtigt und natürlich die jeweiligen Durchschnittswerte herangezogen. Bewertend kann dennoch festgehalten werden: Der E-Commerce ist in puncto Klimafreundlichkeit deutlich besser als sein Ruf. Ein Blick in die Studie bezüglich der Feindaten lohnt sich auf jeden Fall.

Eine zentrale Frage: Wie kommt das Paket zu den Kundinnen und Kunden, was ist entscheidend beim Weg dorthin, und: Ein weiterer wichtiger Faktor ist die während des Kaufprozesses benötigte Infrastruktur, besonders die Immobilien. Wie sehen die Unterschiede aus?

Die Studie identifiziert die wesentlichen Unterschiede in den Lieferketten und analysiert diese anschliessend in puncto ökologischer Fußabdruck. Da in beiden Distributionskanälen Waren nach der Herstellung häufig zunächst vom Herstellungsort in ein Zentrallager transportiert werden, haben wir diese vergleichbaren vorgelagerten Beschaffungswege aus der Analyse ausgeklammert. Aber: Vom Zentrallager aus beginnen sich die Lieferketten voneinander zu unterscheiden. Das ist exemplarisch wie folgt: Beim stationären Handel werden die Produkte vom Zentrallager aus in der Regel gebündelt in ein Regionallager transportiert, von dort aus erfolgt die Anlieferung ins Geschäft, meist per LKW. Ab hier ist der Kunde bzw. die Kundin für die weitere Lieferkette verantwortlich. Im Hinblick auf den sendungsspezifischen CO2-Ausstoss eines gekauften Produkts spielt besonders die Art des gewählten Verkehrsmittels eine wichtige Rolle. Ein Grossteil der CO2-Emissionen fällt auf der sogenannten «letzten Meile» an, also dem Transport des Produktes vom Paketzentrum respektive Geschäft bis zur Haustür der Kund:innen – und bei Umtausch zurück.

Der E-Commerce weist dagegen wesentlich kleinteiligere Sendungsstrukturen auf. Ein online gekauftes Produkt wird, auch meist per LKW, vom Verteilzentrum zum Ausgangspaketzentrum in der Nähe des Verteilzentrums transportiert. Anschliessend kommt das Produkt, ebenfalls mit einem LKW, zum KEP-Paketzentrum in der Nähe der Kund:innen. Die letzte Meile erfolgt durch Paketdienstleister – in der Regel mit einem Lieferwagen. Bei der potenziellen Retoure wird das Paket in der Regel in der nächsten Filiale eines Paketdienstleisters abgegeben und danach zum Retourenzentrum des Online-Händlers transportiert. Dieser verkürzte Weg wirkt sich natürlich aus.

Die Online-Shops benötigen aber auch eine gewaltige Infrastruktur an Servern und somit viel Strom. Wie schlägt das zu Buche?

Betrachten wir den Energieverbrauch der IT-Infrastruktur: Dieser wird interessanterweise bei der Studie des Umweltbundesamtes nur im Bereich E-Commerce verortet und mit 5–60 g CO2 angegeben, ein direkter Verbrauchswert des stationären Handels fehlt!

Und die Emissionen der IT-Infrastruktur im E-Commerce sind höher als im stationären Handel, fallen aber im Vergleich zu den Gebäudeemissionen kaum ins Gewicht. Denn vor allem die Energie für Gebäude ist für den grössten Anteil des ökologischen Fussabdrucks des stationären Handels verantwortlich – besonders im Vergleich zum E-Commerce.

Weiter benötigen E-Commerce-Pakete zusätzliche Verpackung. Wie beeinflusst dies die Bilanz? Und wie relevant sind die viel gescholtenen Retouren?

Fangen wir mit der letzten Frage an. Die Wahrnehmung ist sicher vor allem von Modeartikeln geprägt, bei Elektronikartikeln sind die Retourenquoten schon deutlich niedriger und bei Lebensmitteln kaum messbar. Es muss also differenziert werden. Per se gehört die Reduzierung der Retourenquote zu den Hauptzielen des E-Commerce.

Retourenquote, Verpackungsmaterial und die Logistik sind relevante CO2-Faktoren, allerdings nicht die entscheidendsten, wie die Studie bestätigt. Die kostspielige, energieverbrauchende Infrastruktur für die Präsentation der Waren, also der echte CO2-Treiber, spielt beim E-Commerce kaum eine Rolle. Was die Verpackung angeht, ist diese rein rechnerisch weniger belastend als Beleuchtung oder Heizung.

Auch der Verkehr in den Ballungszentren durch Paketzusteller wird immer wieder thematisiert. Wie sieht hier die Bilanz aus?

Da weise ich auf die Fakten hin: Der Online-Handel ist für 0,5 Prozent des städtischen Verkehrsaufkommens verantwortlich, die Ladengeschäfte für 11 Prozent.

Wie sieht also Ihre Bilanz aus?

Der Online- und der stationäre Handel müssen weiter dafür sorgen, dass sich die Klimabilanz stetig verbessert, auch wenn der Online-Handel durch die verkürzte Lieferkette und die nicht benötigte Warenpräsentation in den Stores gesamtheitlich vergleichsweise klimafreundlicher ist. Zusammengefasst: Wäre ich ein Eisbär, würde ich online kaufen …

 

Dr. Felix Hötzinger

Dr. Felix Hötzinger ist CEO von Gambio, einem Lösungsanbieter für Onlineshop-Systeme, der sich auf die Wertschöpfung im E-Commerce spezialisiert hat. Er ist mehrfacher Selfmade-Gründer und war Interim Manager bei Banken wie der Fidor Bank, die er mit aufbaute.

Portrait Dr. Felix Hötzinger

Philippe Mettler – Interviewer

Philippe Mettler, Leiter Digital Commerce bei der Schweizerischen Post, verfügt langjährige Erfahrung in der Beratung und Projektumsetzung, insbesondere in den Bereichen E-Commerce, Web und PIM. Er besitzt umfangreiche praktische Kenntnisse mit Kunden aus verschiedensten Branchen. Mit diesem Wissen hilft er unseren Kunden, sich im digitalen Reifegrad weiter zu entwickeln und erfolgreich im Digital Commerce zu agieren.

Portrait Philippe Mettler

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