Handel heute Recap Connecta 21 – wie verändert sich die Welt des Handels
Mit Connecta TV und dem Connecta Blog bot das wichtigste Event zur Digitalisierung in der Schweiz wieder jede Menge Impulse. Was hatten die Expertinnen und Experten zum Thema Handel und seiner Entwicklung zu sagen? Wir liefern die wichtigsten Erkenntnisse.
Wegen der Pandemie fand die Connecta auch in diesem Jahr als digitale Veranstaltung statt. Doch wie aus den Vorjahren gewohnt, gab es jede Menge wichtiger Einsichten und Einschätzungen von Expertinnen und Experten rund um die Digitalisierung. Ein grosses Thema war die weitere Entwicklung des Handels in der Schweiz.
Der Onlinehandel wächst weiter
Die Folgen der Pandemie mit ihrem Lockdown haben dem Onlinehandel in der Schweiz einen Schub verliehen. Tiziana Gaito, Wissenschaftliche Mitarbeitende und Dozentin, Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) und Ricarda Raemy, Customer Insights Specialist der Post CH AG, wiesen darauf hin, dass so viel online eingekauft wird wie noch nie. Sie stellten das Schweizer E-Commerce Stimmungsbarometer vor, das die Gewohnheiten und Präferenzen von über 11 000 Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten untersucht hat.
Gerade die Altersgruppe der über 55-Jährigen kauft deutlich mehr online ein. 19 Prozent von ihnen haben wöchentlich online geshoppt. Als wesentliche Gründe für den Onlineeinkauf nennt die Kundschaft die Unabhängigkeit der Öffnungszeiten und die Lieferung der Einkäufe nach Hause. Im Connecta Talk betonten beide Expertinnen, dass sie keine Veränderung dieses Trends erkennen können. Die Verschiebung in Richtung Onlinehandel erscheint also dauerhaft zu sein.
Im Gespräch betonten beide, dass die Veränderung des Verhaltens der Schweizerinnen und Schweizer die Handelsunternehmen vor konkrete Herausforderungen stellt, weil es nicht mehr nur den einen Kommunikations- und Einkaufskanal gibt. Die Kundschaft informiert sich vielleicht über Instagram und stellt dort eine Frage zu einem Produkt, kauft es dann über einen Shop ein, während eine Reklamation oder Nachfrage via Twitter erfolgt. Hier den Blick auf die Historie der Kundinnen und Kunden zu behalten, ist keine leichte Aufgabe.
Der stationäre Handel muss sich neu erfinden
Das sieht auch der Experte Prof. Dr. Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Centers der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach, so. Die Kundschaft stimmt seiner Ansicht nach zunehmend mit den Füssen und den «Daumen» ab. Für ihn bedeutet das aber keineswegs, dass der stationäre Handel nun vollständig abgeschrieben werden kann. Um in Zukunft aber relevant zu sein, muss er sich neu erfinden. Seine Antwort: «Intelligent Retail». Damit dies gelingt, müssen Handelsunternehmen zunächst einmal die Grundlage schaffen: Es geht darum, möglichst viele Daten über die Kundinnen und Kunden zu sammeln. Der Handel muss seine Kundschaft und deren Bedürfnisse kennen. «Customer Relationship Management» (CRM) ist keine neue Entwicklung, doch gerade im stationären Handel mangelt es da teilweise an den Grundlagen.
Dieses datenbasierte Arbeiten ist die Grundlage für die Nutzung weiterer Technologien wie künstlicher Intelligenz und damit einem echten One-to-One-Marketing. Das kann aber nur dann gelingen, wenn entsprechend qualifizierte Mitarbeitende gewonnen werden können. Der «War for Talents» wird für den stationären Handel immer wichtiger. Denn er muss dort sein, wo heute die Kundschaft ist. Und das ist eben auch online. «Online» bedeutet aber nicht unbedingt den Betrieb eines eigenen Shops. So verweist Heinemann etwa auf die Möglichkeiten, die sich durch einen Auftritt auf Instagram ergeben und auf den Einsatz von Online-Werbung.
Blogbeitrag: Die Talente von morgen finden
Dem pflichtet wohl auch Thomas Zuberbühler, Inhaber von zubischuhe.ch, bei, der von seinen Erfahrungen in der Verknüpfung zwischen stationären Filialen und Online-Vertrieb berichtet. Mit einem Umsatzanteil von 30 Prozent ist der Online-Kanal für sein Unternehmen inzwischen die wichtigste Filiale. Er betont, dass Händler den Online-Shop nicht allein auf Basis der Vollkostenrechnung bewerten sollten. Denn der Online-Auftritt habe auch positive Effekte auf das Filialengeschäft, auch wenn sich diese nur schwer messen lassen. Sich online mit aktuellen Informationen, Trends und Produkten zu präsentieren, sei die Basis für den Erfolg. Werbung, die online ausgespielt wird, sollte sich seiner Ansicht nach auch in den Filialen und bspw. auf Social Media wiederfinden.
Künstliche Intelligenz am Beispiel Retouren
Wie künstliche Intelligenz ihren Nutzen ausspielt, erklärt Prof. Dr. Patrick Cichy, der als Senior Data Scientist beim Westphalia DataLab arbeitet. Gerade in Branchen mit besonders hohen Retourenquoten wie Fashion oder Accessoires kann der Einsatz von KI Prozesse optimieren und damit Abläufe und Ressourcen effizienter gestalten. Methoden der KI wie das maschinelle Lernen werden das Problem mit den Rückgaben nicht allein lösen können, schliesslich werden Kundinnen und Kunden immer wieder Gründe finden, um einen Artikel doch nicht behalten zu wollen. Aber durch Prognosen und Analysen kann KI dabei helfen, personelle Ressourcen optimal einzusetzen, um die Bewältigung von Retouren auch im Sinne eines positiven Erlebnisses für die Kundschaft zu verbessern. Aus den Analysen der Rückgaben und deren Gründe bietet KI auch die Möglichkeit, hier präventiv einzugreifen, etwa um falsche oder unpassende Hinweise auf die Grössen von Textilien zu korrigieren.
E-Food wächst, hat aber eigene Herausforderungen
Wie das E-Commerce Stimmungsbarometer zeigt, gehört der Onlineverkauf von Lebensmitteln zu einem der Gewinner der Pandemie. Das bestätigt auch Katrin Tschannen, Chefin von Migros Online. Während der ersten Phase der Pandemie mit dem Lockdown gab es ein Wachstum von 40 Prozent. Und bisher bemerkt Migros auch keine Anzeichen dafür, dass sich dieser Trend wieder umkehren würde. Katrin Tschannen verweist aber auch darauf, dass «E-Food» im Gesamtmarkt noch einen überschaubaren Anteil von unter 4 Prozent ausmacht. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Produktkategorien, in denen der E-Commerce bereits 30 oder 40 Prozent ausmacht.
Generell entwickelt sich der Online-Handel mit Lebensmitteln sehr dynamisch. Gerade der «Quick Commerce» ist sicherlich eine Überraschung in diesem Segment. Die Kundschaft will offenbar Produkte aus dem «Tankstellensortiment» möglichst schnell in Händen halten. Da sich die Anbieter im Segment E-Food noch mitten im Verteilungskampf der Marktanteile befinden, ist es aus Sicht von Tschannen wichtig, die Erwartungen der Kundschaft zu erfüllen. Dazu gehören termingenaue Lieferfenster und der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit (z. B. Verpackungen). Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg sind im E-Food-Bereich effiziente Prozesse.
Dem pflichtet Dr. Matthias Schu bei, einer der führenden E-Food-Experten. Da es hohe strukturelle Fixkosten bei Picking, Verpacken und Auslieferung gibt, können Handelsunternehmen nur bei den Prozesskosten ansetzen, um das Geschäftsmodell gewinnbringend und skalierbar zu betreiben. Dies sei auch einer der Gründe dafür, warum sich E-Food derzeit auf Ballungsräume fokussiere. Eine andere Herausforderung liegt in der Erwartungshaltung der Kundschaft, die wenigstens die taggleiche Lieferung erwarte, was sich im ländlichen Raum aber nicht bewerkstelligen lasse.
Blogbeitrag: E-Food: 4 Thesen zum Markt im DACH-Raum
Der Siegeszug der Marktplätze
Weltweit wird der digitale Handel zunehmend von Marktplätzen und Plattformen bestimmt. Da bildet die Schweiz keine Ausnahme, wie Philippe Mettler, Leiter Digital Commerce der Post CH, betont. Er stellte auf der Connecta die Ergebnisse einer Studie vor, die sich diesem Thema widmet. So bilden Marktplätze bei vielen Händlern einen wichtigen Pfeiler in der Gesamtstrategie. Sie wachsen überdurchschnittlich, wobei sich die Schweiz im Vergleich zum Ausland durch eine grössere Diversität der Plattformen auszeichnet. Die Dominanz von Amazon zeigt sich in der Schweiz nicht. Auch eine Entwicklung wie in Asien, wo der Markt etwa von Alibaba stark geprägt ist, gibt es derzeit nicht. Mettler erklärt allerdings, dass seiner Ansicht nach Marktplätze weiter an Marktanteilen gewinnen werden. Die Convenience aus Sicht der Kundschaft ist einfach zu gross. So werden sich also noch mehr Handelsunternehmen Marktplätzen anschliessen, auch wenn das mit einigen Hürden verbunden ist.
Dazu gehört bspw. die absolute Preistransparenz. Für viele Händler bedeutet eine aktive Nutzung eines Marktplatzes allerdings nicht die Aufgabe eigener Kanäle. Der Experte verweist darauf, dass trotz aller Vorteile, die eine Plattform mit sich bringt, eben auch Beschränkungen vorhanden sind. Aus Sicht des Händlers gehört dazu, dass es kaum Möglichkeiten gibt, auf einem Marktplatz ein Markenerlebnis zu inszenieren.
Nachhaltigkeit wird immer mehr zum Thema
Nachhaltigkeit wird für viele Kundinnen und Kunden immer stärker zu einem Thema. Diesen Wunsch, der sich auch bereits im Stimmungsbarometer zeigt, greifen auch immer mehr Handelsunternehmen auf, wie Thomas Wozniak und Michael Nussbaumer von der HSLU bestätigen, die die Ergebnisse einer Befragung vorstellten. Das Thema steht aber nicht zuoberst auf der Agenda der Handelsunternehmen. Derzeit legen die Unternehmen einen Fokus darauf, bei Verpackung und Versand nachhaltiger zu werden. So verzichten inzwischen vier von zehn Händlern auf Kunststoffe in ihren Verpackungen.
Und auch der klimaneutrale Versand gewinnt an Bedeutung. Immerhin 26 Prozent der Händler bieten dies inzwischen an. Nach Einschätzung der beiden Experten lassen Handelsunternehmen hier aber auch Chancen liegen, bspw. durch den Verzicht darauf, bereits im Online-Shop auf nachhaltige Alternativen hinzuweisen oder besonders umweltschonende Produkte speziell zu kennzeichnen.
Die Connecta Bern wurde auch 2021 aufgrund der aktuellen Lage digital durchgeführt. Die Vielfalt der Digitalisierung, welche die Connecta auszeichnet, wurde neben dem Connecta Blog in den Formaten Connecta TV und Connecta Talk aufgegriffen. Hier erfahren Sie mehr: www.post.ch/connecta
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