Onlinemarketing im Jahr 2021
Die Digitalisierung schreitet rasant voran. Darum müssen Unternehmen sich weiterentwickeln und die Bedürfnisse potenzieller Onlinekunden kennen. Mike Schwede ist seit über 20 Jahren digital unterwegs und teilt gern sein Wissen und seine Erfahrung.
Was waren deiner Meinung nach die grössten Veränderungen im Onlinemarketing in den letzten Jahren?
Jahren oder Monaten? (lacht)
- Werbung und Viralität
Das letzte Jahrzehnt war stark von Social Media geprägt. Die Interessen der User konnten getrackt und fürs Werbetargeting genutzt werden (interest-based). Eine perfekte Ergänzung zum Intention-based-Ansatz von Google, der beim unmittelbaren Bedürfnis beim Suchen ansetzt. Veraltete Modelle wie Programmatic Advertising wurden so total abgehängt, und die Relevanz konnte massiv gesteigert werden.
- Viralität statt Werbung
2015 haben Messengerdienste wie WhatsApp klassische Social-Media-Plattformen überholt. Hier können keine Daten wie die Interessen der User generiert werden. Allgemein hat ja ein Cocooning stattgefunden, also nicht ein öffentlicher, sondern eher ein privater Austausch in Gruppen. Klassische Werbeansätze auf Social Media werden ihr Ende finden. Jetzt muss man wirklich viral werden, sodass der Inhalt seine Zielgruppen selber sucht. TikTok hat das gut erkannt und seinen Algorithmus auf Viralität ausgerichtet und dafür gesorgt, dass die Videos auch auf WhatsApp weitergeleitet werden.
- Enorme Komplexität
Inzwischen ist es normal, dass man Hunderte verschiedene Werbemittel an diverse Zielgruppen ausspielt und sie optimiert. Das Ganze wird immer noch spezifischer, noch nischenorientierter, sodass es relativ schnell nicht mehr manuell gemanagt werden kann und extrem viel automatisiert werden muss.
- Big Players
Früher gab es noch diverse Plattformen, auf denen man Werbung schalten konnte, inzwischen landet der Grossteil der Werbung auf Google, YouTube, Facebook. Klassische Onlinewerbung lohnt sich im Normalfall nicht mehr. Woanders geht die Konzentration noch weiter. In China ist es normal, dass man keine eigene Website mehr hat, weil alles über WeChat und Alibaba läuft. Und auch sonst verkaufen viele nur noch via Amazon. Das führt zu einer hohen Abhängigkeit. Man muss also seine Nische finden und hier eigene Reichweite aufbauen (E-Mails und Handynummern statt Likes sammeln) und seinen eigenen Shop betreiben. Die Breite wird durch Amazon und Galaxus abgedeckt.
Welchen Einfluss hat COVID-19 auf die Onlinemarketingstrategien?
Schon die letzten Krisen waren ein Katalysator für digitales Marketing und grosse Budgetverschiebungen. Der E-Commerce ist letztes Jahr extrem gewachsen. Ich kenne keine gute E-Commerce Agentur, die 2020 nicht total ausgebucht war. Jeder will jetzt einen Shop, und jeder will etwas verkaufen, und mit Tools wie z. B. Shopify kann das auch jeder Teenager. Es ist so easy geworden. Sprich: Immer mehr Anbieter buhlen um gleich viele Nutzer. Das heisst, das Marketing muss raffinierter werden, und man muss brutal auffallen. «Be different or die» ist ein Prinzip in unserer Agentur «Die Antwort».
Und wo es einen Trend gibt, gibt es auch einen Gegentrend: Man trifft sich wieder bewusst offline und will Erlebnisse. Man kann sich jetzt schon für die Post-Corona-Zeit Gedanken machen, wie man seine Marke erlebbar machen möchte. Sei das mit einem Branding Space an der Bahnhofstrasse, wo beispielsweise die Marke Ricola oder Victorinox mit allen Sinnen erlebbar wird, oder klassisch in einem Geschäft, wo man Produkte ausprobieren kann. Vor Kurzem wollte ich in einem Laden einen Kopfhörer ausprobieren. Ging nicht. So verspielt man seinen einzigen Vorteil gegenüber dem E-Commerce.
Welche Grundprinzipien sollten im digitalen Marketing beachtet werden?
- Relevanz. Zunächst ist nicht relevant, was man erzählen will, sondern es ist wichtig, was der User will, was ihn beschäftigt und interessiert. Hier gilt es eine Brücke zu bauen, die den User dann Schritt für Schritt zu meinem Produkt bringt.
- Eigenständigkeit. Man muss extrem auffallen, denn nicht nur andere Firmen buhlen um die Aufmerksamkeit der User. Jeder Freund, jedes Medienhaus, jeder Influencer produziert Inhalte und möchte die User erreichen. Wie wird mein Brand-Inhalt also relevanter und auffallender als das Ferienfoto des Freundes von Hans Mustermann?
- Der Messenger. Zudem ist der Absender extrem wichtig. Freunde, Micro-Influencer, Experten und Influencer haben eine viel höhere Glaubwürdigkeit und meistens auch eine viel höhere Reichweite als eine Marke, und daher muss man konsequent bei jeder Kampagne User-generated Content, Content Creators und Influencer einbauen. Und manchmal sogar ganz auf eigenen Content verzichten.
- Corporate Identity. Ein konsistenter Auftritt ist zentral. Aber als Persönlichkeit muss ich mich dem Kontext anpassen. Eine Marke muss zwar konsistent sein, aber auf jeder Plattform extrem unterschiedlich auftreten, handeln und wahrgenommen werden. Gleicher Post auf Facebook und Instagram? Bitte nicht.
- Agilität. Letztlich kann man wenig planen und hat auch keine Zeit für lange Planungen. Man muss viel machen, ausprobieren, messen und optimieren. Ein Strategiepapier sollte keine zwölf Seiten lang sein und innerhalb von Wochen und nicht Monaten abgeschlossen werden.
Welche Strategien können Unternehmen online verfolgen?
In den letzten Jahrzehnten haben sich neun Strategiefelder herauskristallisiert, die man jeweils auch kombinieren kann. Je nach Prioritäten definiert das die Nutzung unterschiedlicher Plattformen, den Content oder andere Zielsetzungen. Typischerweise muss ein E-Commerce-getriebenes Projekt den Fokus auf Entertainment, Know-how und Service legen, der Verkauf kommt immer an zweiter Stelle.
Reines Monitoring, Massnahmen in anderen Kanälen. Für Firmen mit hohem Krisenpotential oder rechtlichen Einschränkungen. Internes Social Media aufbauen.
Positionierung als Top-Arbeitgeber. Mitarbeiter, Kultur und Arbeitsalltag. Ansprache von spezifischen Zielgruppen. Sonst gilt: gutes Social Media = gutes Employer Branding.
Verbesserung der internen Kommunikation, Knowledge-Transfer und Innovation. Management kann Dezentralisierung, Mitsprache, Kontrollverlust erlernen.
Kreative, aufwändige Kampagnen und Inhalte mit Viralität. Umwegstrategie für low-interest Produkte, meist FMCG. Aber auch Business-Content darf unterhalten.
Transparenter, offener Dialog und verdaulich aufbereitete Fakten z. B. als Unternehmen, dass viele Mythen mit sich rumträgt. Frage stellen, Dialog, Crowdsourcing zentral.
Führerschaft mit Fakten, Studien, Know-how bei Peergruppen, Opinion Leadern und Kunden. Häufig im B2B. Basis für Inbound-Marketing, SEO etc.
Kundenbetreuung im Pre- und After-Sales. Häufig bei Dienstleistungs-Unternehmen, die nicht so einfache entertainen können.
Einbindung des Kunden. Verbesserungen auf Basis von Reviews, Befragungen, Ideation und Communities. Für Kommunikation, Produkte, Services bis hin Support.
Sekundär! Zur Generierung von Leads, Neukunden, Wiederkäufen. Enge Verzahnung mit den anderen Optionen, die die Grundlage für Neukunden legen.
Welche Online-Marketing-Strategien kann man eigentlich verfolgen?
Welche Fehler werden online gemacht??
- Allgemein ist es ein falscher Ansatz, das Gefühl zu haben, online könne man ein Knöpfchen drücken und die Verkäufe würden gleich so reinpurzeln. Schnelle Resultate sind eher Zufall und nicht die Regel.
- Online ist nicht billiger. Sei es ein Onlineshop oder Werbung, eine gute Content-Strategie ist komplex. Es braucht entsprechend personelle und monetäre Ressourcen.
- Nicht alles sofort investieren und mit der grossen Kelle anrichten. Man soll wie gesagt Schritt für Schritt vorgehen, Sachen ausprobieren, dazulernen und optimieren. Grosse Pläne schmieden und dann klein anfangen, minimale Komplexität kreieren und Schritt für Schritt ausbauen. So entwickelt man seine Strategie auch nicht am Markt vorbei.
- Erfahrung haben. Wer meint, zu wissen, wie der Markt funktioniert, wird merken, dass es online anders ist. Auch wer bereits Online-Erfahrung hat, weiss nicht, wie die nächste Community funktioniert. Die Erfahrung macht manchmal unnötig selbstsicher und unkritisch. Deshalb haben viele Quereinsteiger so einen grossen Erfolg.
Was sind für dich aktuell die Trends im Onlinemarketing?
- Sicher Storys. Diese haben ja bei Snapchat angefangen, wurden von Instagram kopiert und haben der Plattform einen riesigen Boost gegeben. Nun halten die 15 Sekunden langen Kurzclips und Animationen, die maximal 24 Stunden zur Verfügung stehen, Einzug bei Revolut oder Spotify. Bei meinem Social Content Hub Cooala arbeiten wir gerade daran, Webstorys auf die eigene Seite zu bringen. Ich bin gespannt, wie das ankommen wird.
- TikTok ist der zweite Riesentrend. Die erste wirkliche reine Fullscreen-Video-Smartphone-App, die es zurzeit gibt. Sie hat eine unglaubliche Kreativität und Vielfalt. Das Spannende ist: Follower sind nicht mehr wichtig für den Erfolg, sondern der Algorithmus macht auch unbekannte Absender viral, wenn der Content gut ist. So kann ich mit ein paar Dutzend Followern auch mal ein bis zwei Millionen Views generieren. Wichtig: TikTok ist keine Teenie-Plattform, zwei Drittel der User sind über 18 Jahre. Ich habe verschiedene Artikel zu TikTok Business und Werbemöglichkeiten zusammengestellt.
- Messaging und Cocooning. Die Gespräche finden privat statt, also muss der Content umso viraler sein, damit er es auf WhatsApp schafft und dort weitergeschickt wird. Zudem muss er per Google gefunden werden und auf einer Content-Heimat weiterverschickt werden können (Shareability). Spannend: Bei unseren Content Hubs sind die wichtigsten Sharing-Plattformen WhatsApp und immer noch E-Mail.
- Ein Grossteil der Schweizer benutzt schon Voice-Assistenten wie Siri, Alexa oder Google Assistant und hat auch entsprechende Hardware zu Hause stehen. Für Suchmaschinenmarketing ist es daher essenziell, dass man zum einen nicht nur auf Keywords, sondern auf Themen optimiert. Zum anderen muss der Inhalt strukturiert sein (Schema.org). Denn wenn ich meinen Assistenten frage, welches der beste Luftbefeuchter ist und wo man ihn kaufen kann, dann sollten unsere Inhalte auch darauf optimiert sein.
Was sind deine Ratschläge für Unternehmen, um auch mit kleineren Budgets eine Onlinemarketingstrategie verfolgen zu können?
Wenig machen, aber dafür konsequent. Zum Beispiel lieber nur einen Instagram-Kanal mit sehr schönen Fotos führen und genug Budget einberechnen, um ihn zu bewerben, als auf drei Plattformen aktiv zu sein. Das heisst auch, alte «Budget-Zöpfe» abzuschneiden.
Viel selber machen und sich dafür auch die nötige Zeit nehmen. Sich aber nicht zu schade sein, von Anfang an professionelle Hilfe oder Trainings beizuziehen. Zum Beispiel können die heutigen Smartphones super Bilder und Videos machen, dafür braucht man keine teure Filmcrew mehr. Man muss aber die Grundprinzipien einer guten Story, von Bildausschnitt, Beleuchtung, Ton und Schnitt beherrschen, damit es nicht peinlich wird.
Und automatisieren. Man sollte erst gar nicht anfangen, manuell etwas zu machen, sondern z. B. per Zapier.com einfache Tasks automatisieren. Die gesparte Zeit kann man für guten Content und Kundenpflege einsetzen.
Wie kann das digitale und das analoge Marketing am besten in Einklang gebracht werden?
Ich unterscheide nicht zwischen digital und analog, sondern mehr zwischen Print, Real Life und Out of Home. Print ist wirklich sehr schlecht investiertes Geld und hat null Impact auf den Verkauf. Real Life Events, Markenerfahrung, Produkt-Samples, Give-aways machen ein Angebot erlebbar und sind essenziell. Gut geplant generieren Real-Life-Massnahmen den perfekten digitalen Content. Einen gezielten Hänger in einem Tram oder Bus, eine aufmerksamkeitsstarke Animation auf einem Screen im Supermarkt oder Bahnhof sorgen für zusätzliche Awareness, die dann idealerweise auf dem Smartphone weitergeführt wird. Zu guter Letzt sollte man sich auch den Rat des gerade erst verstorbenen Meisters des E-Commerce, Tony Hsieh (Gründer von Zappos), zu Herzen nehmen und den Kundendienst nicht als Kostenstelle, sondern als Marketinginvestition ansehen: Wo sonst kann man eins zu eins ungestört mit einem Kunden einen Dialog führen?
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