Eine digitale Agentur in Zeiten von Covid-19 Nachgefragt bei Florian Tosello, CEO von FirstPoint
FirstPoint ist eine digitale Agentur mit Sitz in Lausanne. Sie bietet ihren Kunden Web-Entwicklungslösungen (Realisierung von Websites und Online-Shops), digitales Marketing und Analytik. Wir haben Florian Tosello, CEO von FirstPoint, gefragt, wie er das Jahr 2020 und die Herausforderungen der aktuellen Covid-19-Krise als digitaler Anbieter erlebt.

Florian, wie hast du persönlich das ganz besondere Jahr 2020 erlebt?
Das Jahr hatte ziemlich gut angefangen, bis wir merkten, dass dieser Virus auch uns betreffen würde. Dann kam der erste Lockdown, den ich nicht so schlimm erlebte, da ich meine Reisezeit durch sportliche Aktivitäten ersetzen konnte. Ich habe das Glück, im Lavaux zu wohnen. Es ist eine sehr angenehme Gegend, um sich einzuschränken, zu laufen und die unglaubliche Aussicht auf den Genfer See und die Alpen zu geniessen! Beim zweiten Lockdown wurden die Dinge kompliziert, da sich unser Arbeitsvolumen fast verdoppelte und wir uns mit allen Komplikationen auseinandersetzen mussten, die sich daraus ergaben. Die Pandemie hatte katastrophale Folgen, aber es ist unglaublich zu sehen, wie sich eine ganze Gesellschaft in so kurzer Zeit an grosse Veränderungen anpassen kann.
Die Bilanzen der führenden Schweizer Digital-Commerce-Unternehmen werden Anfang 2021 veröffentlicht, oft mit einem spektakulären Wachstum der Online-Umsätze von 30–40% im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019. Wie ist die Stimmung bei euren Kunden, spüren sie einen erhöhten Druck durch die grossen Player?
Wir haben nur wenige Kunden, die in direkter Konkurrenz zu den führenden Schweizer E-Commerce-Händlern stehen, welche eher Generalisten sind. Die Mehrheit unserer Kunden ist eher spezialisiert und spürt daher nicht unbedingt den Druck der grossen Player. Die Pandemie hat auch daran erinnert, wie wichtig kleine Unternehmen sind, und viele Schweizer haben es vorgezogen, online bei kleineren Unternehmen zu kaufen, wann immer es möglich war.
Waren sie im Allgemeinen gut vorbereitet und ausgerüstet, um sich während des Lockdowns auf den Online-Verkauf zu konzentrieren?
Einige unserer Kunden waren bereits vor der sanitären Krise «digitale Pure Player» (Aktivität 100% online) und das sind diejenigen, die im letzten Jahr die besten Erfahrungen gemacht haben, weil sie bereit waren und nicht die Verluste eines physischen Geschäfts ausgleichen mussten. Für andere war das Digitale eine Ergänzung ihrer normalen Tätigkeit, aber sie verfügten bereits über die Werkzeuge und Plattformen, und das Digitale wurde dann ihr erster Verkaufskanal, besonders in Zeiten des Lockdowns. Für diejenigen, die wenig oder gar nicht digitalisiert waren, war es aus mehreren Gründen komplizierter: Erstens, weil wir nicht wussten – und immer noch nicht wissen – wie lange diese besondere Periode andauern würde. Es war deshalb schwierig zu entscheiden, alle ihre Investitionen auf die Digitalisierung zu konzentrieren, wenn eine kurzfristige Erholung möglich schien. Aber auch, weil der Einstieg in E-Commerce nicht von heute auf morgen geht. Man muss eine Strategie definieren und Budgets bereitstellen – nicht immer einfach, wenn die Zahlen drastisch sinken –, die richtigen Partner finden, auf die logistischen und technischen Herausforderungen reagieren, die internen Strukturen anpassen usw. Wenn man ein kleines Unternehmen ist, ist es einfacher. Aber wenn man ein Unternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitern transformieren muss, ist das eine echte Herausforderung, die man in wenigen Wochen schaffen muss, während es normalerweise Monate oder sogar Jahre dauert.
Was waren die häufigsten Anfragen eurer Kunden? Habt ihr mehr Online-Shops als üblich geliefert oder angepasst?
Wir hatten viele Anfragen für neue Online-Shops, jedoch nahmen wir nur wenige neue Projekte an. Unsere Bestandskunden wollten schnell ihre digitale Präsenz verstärken und das war bereits ein hohes Arbeitsvolumen. Deshalb haben wir uns entschieden, unseren bestehenden Kunden Priorität einzuräumen und neue Projekte nur dann zu übernehmen, wenn es möglich war und die Rahmenbedingungen und Termine unter Kontrolle waren. Die am meisten nachgefragten Funktionalitäten stehen in engem Zusammenhang mit den krisenbedingten Einschränkungen: Implementierung von Click & Collect-Lösungen, Optimierung und Automatisierung der Logistik zur Bewältigung des Auftragsandrangs und Migration der Bestände aus den physischen Geschäften in den E-Commerce.
Was das digitale Marketing betrifft, gab es da irgendwelche Veränderungen, mehr oder weniger nachgefragte Dienstleistungen als sonst? Oder welche, die durch den Lockdown eine andere Wirkung hatten?
Für die Kunden im E-Commerce gab es keine grossen Änderungen in der Strategie selbst, sondern eher Fragen der Budgetanpassung, um auf das Wachstum der Suchmaschinenanfragen zu reagieren. Kunden aus dem Dienstleistungssektor oder traditionelle Unternehmen haben einige ihrer Online-Marketing-Kampagnen stark reduziert oder sogar ganz eingestellt, weil sie keine Dienstleistungen anbieten konnten, die den Gesundheitsvorschriften entsprachen. Andere schlugen neue Dienstleistungen vor, für die neue Strategien vorbereitet werden mussten. Wir haben auch eine sehr deutliche Beschleunigung der Nachfrage von Immobilienagenturen festgestellt, unabhängig von der Grösse oder den Dienstleistungen der Firmen.
Vor welchen Herausforderungen stand FirstPoint als Agentur im Jahr 2020? Musstet ihr euch auf das, was ihr in «normalen Zeiten» tut, einstellen?
Zunächst einmal müssen wir anerkennen, wie viel Glück wir haben, dass wir weiterarbeiten können. Es ist deshalb schwer, sich zu beklagen. Überraschenderweise für unseren Bereich hatten wir bisher wenig Telearbeit innerhalb der Agentur. Wir sind sehr vertraut mit der digitalen Welt und den Tools, die sie uns bietet, sodass wir wenig Schwierigkeiten hatten, uns auf ein 100%iges Home-Office-Modell einzustellen. Wir hatten einige Bedenken, hauptsächlich in Bezug auf Produktivität, Organisation und Kommunikation. Aber am Ende waren wir angenehm überrascht, dass alles auf natürliche Weise gut funktionierte. Die eigentliche Herausforderung bestand für meine Kollegen darin, dass nicht nur die Arbeitsbelastung stark zunahm, sondern auch der Druck von Terminen und Kunden, die schnell beliefert werden wollten, um die rückläufigen Umsätze in anderen Kanälen zu kompensieren. Sie haben grossartige Arbeit geleistet und wir sind sehr dankbar für den Einsatz unserer Leute.
Abschliessend: Wie siehst du die Entwicklung des digitalen Handels in der Schweiz nach der Covid-19-Krise? Was empfiehlst du für KMU im Hinblick auf die Herausforderungen der Digitalisierung?
Digital und E-Commerce wachsen seit Jahren stetig, das ist nichts Neues. Aber es gibt eindeutig ein Vorher und ein Nachher der COVID-19-Krise: Einige Kunden, die zögerten oder lange brauchten, um Budgets für die Digitalisierung bereitzustellen, haben ihre Strategie völlig neu überdacht. Ich denke, es wird so weitergehen. Wir sollten die physischen Läden nicht beiseitelassen, die eine gute Beratung bieten und eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft spielen, aber der E-Commerce hat den Vorteil, dass er die unflexiblen Fixkosten (vor allem Mieten) reduziert, die den Unternehmern in dieser Zeit so viele Sorgen bereitet haben. Der Rat, den ich geben kann, ist Antizipation: In Krisenzeiten, wie wir sie gerade erleben, explodiert die Nachfrage nach Digitalisierung und die Anbieter (Agenturen, Freiberufler) sind sehr gefragt. Qualitätspartner sind überfordert und tun sich schwer, neue Kunden zu gewinnen. Es besteht daher die Gefahr, dass sich Kunden an unprofessionelle (und nicht immer günstigere) Dienstleister wenden und dass Projekte nicht gelingen oder nicht den Erwartungen entsprechen. Jede Woche erhalten wir mehrere Anfragen, instabile und schlecht durchdachte Websites umzubauen. Das ist wirklich schade, denn es ist eine Schande für das Image unseres Berufsstandes, und vor allem verliert der Kunde viel: Budgets und Fristen werden oft verdoppelt, wenn nicht sogar verdreifacht.
www.firstpoint.ch (französisch)