Disruptive Fahrzeugentwicklung

Disruption Disruptive Fahrzeugentwicklung

Publiziert am 14.09.2021 von Prof. Dr. Stefan Rose, Forschungsprofessor für Marketing und Dozent an der Berner Fachhochschule

Innovationsprozesse in der Automobilindustrie dauern in der Regel viele Jahre und kosten Milliarden. Die Streetscooter GmbH hat gezeigt, wie sich mit einem disruptiven Entwicklungsnetzwerk ein Elektrofahrzeug realisieren lässt, das kundenspezifisch, wirtschaftlich, ökologisch und zuverlässig ist.

Die Zunahme des elektronischen Handels hat in den letzten Jahren zu einer beträchtlichen Steigerung von Paketsendungen und logistischen Aktivitäten geführt. Diese Zunahme steht im Widerspruch zu den aktuellen Klimazielen und verursacht einen Bedarf an umweltfreundlichen Lösungen für die Paktzustellung.

Grosse Automobilhersteller sind bisher nicht in der Lage, bezahlbare E-Mobilität anzubieten und weisen lange Produktentwicklungszyklen auf. Der Entwicklungsprozess eines Neufahrzeugs nimmt in der Regel sieben Jahre in Anspruch, bevor das Fahrzeug überhaupt in Serie produziert werden kann. Wie kann eine solche Herausforderung nun gemeistert werden?

Die StreetScooter AG hat eindrucksvoll gezeigt, dass dies vor allem dann möglich ist, wenn Startups zum einen über den eigenen Tellerrand hinausschauen und zum anderen externen Partnern einen Einblick über diesen Tellerrand nach innen gewähren. Statt ihre Idee für die Entwicklung eines umweltfreundlichen Elektro-Zustellfahrzeugs im Geheimen zu verfolgen, setzten die Ingenieure der StreetScooter AG auf den Aufbau eines disruptiven Entwicklungsnetzwerks, das die Integration von 80 Partnern vorsah.

Der Disruptive Network Approach basiert auf der Annahme, dass das Teilen von Wissen die Entwicklungszeiten beachtlich reduziert und ideale Vorrausetzungen für komplexe technologische Innovationen schafft. Bei diesem Ansatz werden alle relevanten Partner bereits in den ersten Phasen des Entwicklungsprozesses einbezogen. Ein bedeutender Vorteil dieses Kooperationsansatzes besteht darin, dass sich der Entwicklungsprozess nicht an einer zentralisierten Pyramidenstruktur orientiert, wie es häufig bei grossen Herstellern der Fall ist. Beim Disruptive Network Approach wird auf starr definierte Lastenhefte und Vorgaben verzichtet. Stattdessen werden die Spezifikationen für das zu entwickelnde Produkt zunächst offengelassen und gemeinsam unter Einbezug der Netzwerkpartner im Verlauf des Projekts festgelegt.

So entstehen Freiheitsgrade, die Raum für Innovationen bieten, verkürzte Entwicklungszeiten ermöglichen und zu marktgerechteren Endergebnissen führen.

Der Erfolg der StreetScooter AG basiert jedoch nicht ausschliesslich auf dem Austausch innerhalb des Netzwerks. Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg für disruptive Entwicklungsnetzwerke ist die frühzeitige Integration des Kunden in den Entwicklungsprozess. Statt mit einem bereits marktfertigen Produkt an potenzielle Abnehmer heranzutreten, beteiligte die StreetScooter AG über 150 DHL-Zusteller am Entwicklungsprozess ihres Lieferfahrzeugs. Durch die iterative Integration von Kunden- und Nutzerfeedback konnte bereits nach einer einjährigen Entwicklungsphase ein Referenzmodell fertiggestellt werden, dass den Anforderungen der Deutschen Post hinsichtlich Ausstattung, Ladekapazität und Sicherheitsstandards gerecht wurde. Auf Basis des Feedbacks der Zusteller wurde z. B. ein Laderaum konstruiert, der keine Radkästen aufweist. Das Resultat war eine grössere und einfacher zugängliche Ladefläche. Diese Offenheit und Transparenz gegenüber Partnern und Endkunden im gesamten Entwicklungsprozess sorgten dafür, dass das Fahrzeug mit einer relativ kurzen Entwicklungszeit ideal auf die Anforderungen zugeschnitten werden konnte.

 


Die Connecta Bern wird auch im 2021 aufgrund der aktuellen Lage digital durchgeführt. Die Vielfalt der Digitalisierung, welche die Connecta auszeichnet, wird neben dem Connecta Blog in den Formaten Connecta TV und Connecta Talk aufgegriffen. Hier erfahren Sie mehr: www.post.ch/connecta.

 

Prof. Dr. Stefan Rose ist Forschungsprofessor für Marketing und Dozent an der Berner Fachhochschule

In seiner Forschung befasst Stefan sich damit, wie sich Konsumentenverhalten auf Basis psychologischer Grundlagen erklären lässt.

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