Datennutz statt Datenschutz

Digitalisierung Datennutz statt Datenschutz

Publiziert am 25.08.2021 von Prof. em. Dr. Dr. h. c. Hubert Österle, Universität St. Gallen

Nicht auf den Schutz, sondern auf den Nutzen der Daten kommt es an. Wer möchte noch ohne Navigationsdienste Auto fahren? Die Generationen Y und Z können sich Fahren nach Strassenkarte kaum noch vorstellen. Fahren nach App ist stressarm, sicherer, spart Zeit und verbraucht weniger Energie.

Um derartige Annehmlichkeiten zu geniessen, verzichten wir seit Jahren auf die Hoheit über die Navigationsdaten, in der Strassennavigation wie in der Wander-App, bei der Restaurant- und Hotelsuche, in der Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und von Wetterdiensten usw. Die Dienstanbieter verkaufen im Hintergrund unsere Lokationsdaten weiter oder nutzen sie, damit andere Dienste Werbebotschaften oder Nachrichten zielgenauer platzieren können.

Wer sich die Mühe macht, in Google seine persönlichen Navigationsaufzeichnungen zu studieren, erkennt ein beinahe lückenloses und detailliertes Bewegungsprotokoll. Google kennt aus verschiedenen Quellen auch unsere Kontakte und deren Bewegungsprotokolle. Google ist in der Lage, unsere Treffen mit Freunden und Bekannten über Jahre zurück zu dokumentieren. Es hat mir noch niemand erklären können, warum eine hysterische Datenschutzdiskussion ein wirkungsvolles Contact Tracing verhindern musste. Die bis vor Corona verfügbaren Daten hätten es Google wie auch Apple erlaubt, mit ausreichender Sicherheit Treffen mit infizierten Personen nachzuvollziehen. Da davon kein Gebrauch gemacht wurde, haben Google und Apple die Situation genutzt, die Kontaktdaten zu verfeinern, indem sie praktisch auf Bitten der Gesundheitsbehörden eine durch Bluetooth unterstützte, noch exaktere Lokalisierung entwickelten. Wir hätten es immer noch in der Hand, durch die Nutzung der bereits vorhandenen Daten Pandemien besser zu meistern.

In einer Kurzumfrage unter Internetnutzerinnen und ‑nutzern stellte ich die Frage, wie weit die Befragten auf Datenschutz verzichten würden, wenn dadurch eine wirkungsvolle Corona-App entwickelt würde, die einen weiteren Lockdown überflüssig machen würde. 66 Prozent der Befragten würden vollständig oder weitgehend auf Datenschutz verzichten und weitere 27 Prozent geringfügig, lediglich 8 Prozent gar nicht (s. dazu Umfrage). Repräsentieren die Datenschützer diese Meinung der Geschützten?

Ein anderes Beispiel für eine mögliche Nutzung der Navigationsdaten ist die Stürmung des Capitols in Washington am 6. Januar 2021 durch einen aggressiven Mob. Es ist davon auszugehen, dass wenigstens 90 Prozent der Beteiligten irgendeine App geöffnet hatten, die den Standort und damit die Teilnahme an diesem kriminellen Akt dokumentiert hatte. Ob diese Daten tatsächlich genutzt wurden oder werden und wie weit dies durch verschiedene Gesetze gedeckt wäre, ist schwer feststellbar. Auf jeden Fall gibt es immer wieder die Diskussion, wie weit diese Daten zum Schutz der staatlichen Sicherheit mittels Zwangsmassnahmen zugänglich gemacht werden sollen.

Eine weitere, geradezu harmlose Datennutzung ist das User Profiling für die Personalisierung von Diensten. Die Navigationsdaten lassen nicht nur erkennen, mit welchen Personen wir uns treffen, sondern auch, an welchen Veranstaltungen wir teilnehmen, in welchen Restaurants und Bars wir verkehren, wo wir einkaufen und wie viel wir Auto fahren, wandern oder uns nicht bewegen. Anbieter von Produkten und Dienstleistungen nutzen die Lokationsdaten und das Bewegungsverhalten zur Konsumanregung (Personalisierung der Werbung) und zur Pflege von Filterblasen (Auswahl erwünschter Nachrichten).

Ein Aufschrei ging rund um die Welt, als Facebook, Twitter, Google u. a. nach der Erstürmung des Capitols die Nachrichten des damaligen Präsidenten und seiner Unterstützer auf den sozialen Medien blockierten, als also private Unternehmen zur Nachrichtenzensur griffen. Die einen wiesen auf die mangelnde demokratische Legimitation hin, die anderen auf die Gefahr der staatlichen Manipulation. So schrieb Hanna Henkel in der NZZ: «Die Kombination von meinungsmächtigen Plattformen mit gesetzlich verankertem Einfluss der Politik wäre das schlimmste aller möglichen Regulierungsergebnisse.»

Es ist wichtig, das Thema Daten nicht einem abstrakten Datenschutz zu überlassen, sondern die Chancen und Gefahren am konkreten Datennutz aufzuzeigen. Wir brauchen eine offene Dateninfrastruktur, die Daten für grosse und kleine Dienstanbieter gleichermassen verfügbar macht und damit die monopolistische Macht der Internetgiganten bricht, sodass Vielfalt und Wettbewerb die Interessen der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten können. Schliesslich sind Regeln und Instrumente zu schaffen, die den Datennutz im Sinne der Datengeberin – der Bevölkerung – kontrollieren.

 


Die Connecta Bern wird auch im 2021 aufgrund der aktuellen Lage digital durchgeführt. Die Vielfalt der Digitalisierung, welche die Connecta auszeichnet, wird neben dem Connecta Blog in den Formaten Connecta TV und Connecta Talk aufgegriffen. Hier erfahren Sie mehr: www.post.ch/connecta.

 

Prof. em. Dr. Dr. h. c. Hubert Österle, Universität St. Gallen

Hubert Österle arbeitet auf dem Gebiet des Life Engineering mit dem Ziel, die Digitalisierung zur Verbesserung der Lebensqualität zu nutzen.

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