Vorbild China? Video-Streams im Digitalhandel

Live-Commerce Vorbild China? Video-Streams im Digitalhandel

Publiziert am 11.08.2020 von Stephan Lamprecht, Journalist

Während des Lockdown des öffentlichen Lebens im Zeichen von COVID-19 mussten sich auch chinesische Händler etwas einfallen lassen. Live-Video-Streams gehörten dazu. Und dieses Genre ruft eigene Stars hervor.

In China besitzt nicht nur das Social Shopping eine grosse Bedeutung. Die Konsumentinnen und Konsumenten sehen sich auch gerne Live-Übertragungen von Produktpräsentationen an. So gehören Live-Streams beim Grossereignis «Singles’ Day» jeweils zum festen Repertoire der Alibaba-Plattform.

Homeshopping-TV auf dem Smartphone

Produkte im bewegten Bild zu verkaufen, ist nicht neu. Der Homeshopping-Sender QVC ging in den USA bereits 1986 an den Start. Live-Streaming begeistert weltweit immer mehr Zuschauerinnen und Zuschauer. Eine Entwicklung, der sich auch Amazon nicht entziehen konnte und nun Verkaufs-Shows über das Internet («Amazon Live») ausstrahlt.

Die Zuschauerinnen und Zuschauer fühlen sich unterhalten und können nebenbei gleich interessante Produkte einkaufen. Dieses nahtlose Einkaufserlebnis trägt zweifellos zum Erfolg des Formats bei. Wohl nirgendwo auf der Welt ist Shopping per Live-Stream so erfolgreich und etabliert wie in China.

Dank Live-Stream zur Millionärin

Eine 34-jährige Frau, die sich den Künstlernamen Viya gegeben hat, ist der ungekrönte Star der Szene. Es gibt offenbar nichts, was Sie nicht verkaufen kann. Und die Zahl ihrer Zuschauerinnen und Zuschauer kann es mit grossen Sportereignissen oder der Verleihung des Oskars aufnehmen. Über 30 Millionen Menschen sehen zu, wenn Viya Kosmetika, Mode oder Haushaltsgeräte vorführt und darüber spricht. Als Star der Szene soll sie im Jahr 2018 über 4 Millionen Franken verdient haben. Viya ist das Aushängeschild der Plattform Qianxun, die vor drei Jahren gegründet wurde und Teil einer blühenden Industrie ist, die am treffendsten mit «Live-Commerce» bezeichnet wird.

Solche Streams können einfach in Shopping-Plattformen wie jene von Alibaba eingebunden werden. Schätzungsweise über 200 Plattformen für Live-Streams existieren inzwischen in China. Sie alle fokussieren sich auf verschiedenste Zielgruppen und Märkte.

Push durch die Pandemie

Bereits vor dem Ausbruch der Pandemie und dem damit verbundenen Lockdown war das Anschauen von Live-Streams für chinesische Konsumentinnen und Konsumenten fester Bestandteil ihrer Freizeitgestaltung. 560 Millionen Chinesen, über 60 Prozent der Internetnutzer des Landes, schauen regelmässig Live-Streams an. Damit ist die Volksrepublik der grösste Streaming-Markt der Welt.

Auch in China wurde das öffentliche Leben durch die Pandemie lahmgelegt. Die Streaming-Anbieter konnten als Folge ein weiteres starkes Wachstum verzeichnen. Und Händler, deren Geschäfte geschlossen werden mussten, nutzten Live-Streams dazu, um weiterhin Produkte zu verkaufen und mit den Kundinnen und Kunden in Kontakt zu bleiben.

Ein bekanntes Beispiel ist die Warenhauskette InTime, die vor allem hochpreisige Kosmetik- und Modemarken verkauft und mehrheitlich zum Alibaba-Konzern gehört. Während des Lockdown begann für die Kundenberaterinnen und –berater des Unternehmens eine besondere Art des Homeoffice. Via Kamera ihres Smartphones priesen sie Produkte des Sortiments an, so als befänden sie sich noch im Laden – und das mit beträchtlichem Erfolg. Das von der Kette als «kontaktloses Einkaufen» bezeichnete Experiment soll über 10 000 Franken Umsatz pro Stunde und Verkäufer gebracht haben. Die in Quarantäne zu Hause sitzenden Konsumentinnen und Konsumenten griffen offenbar gerne zu. Und weil der Ansatz so gut funktionierte, gehören die Live-Streams auch nach der Wiedereröffnung der Filialen zum Angebot für Kundinnen und Kunden.

Experimente in Europa

Es liegt auf der Hand, dass der Markt für Video-Streams in Deutschland und der Schweiz schon allein aufgrund der Einwohnerzahl nicht mit China mithalten kann. Während des Lockdown sahen sich die Händler mit den gleichen Problemen wie in China konfrontiert. Wie lassen sich die Kundinnen und Kunden, die zu Hause bleiben müssen, erreichen? Mit viel Kreativität und Herzblut entwickelten auch kleinere Unternehmen über Nacht Bewegtbildangebote. In Deutschland sorgte ein Fliesenhändler aus Franken für Schlagzeilen, der seinen Kundinnen und Kunden eine Beratung per Videochat anbot. Der für seine Taschen bekannte Hersteller Freitag erlaubt einen virtuellen Besuch in seinen Stores, wobei die Kundschaft dann gemeinsam mit einem Verkäufer ihre individuell angefertigte Tasche kaufen kann. Und der Fahrradhändler Rose Bikes wendet sich dem Verkauf via Live-Streams auf Instagram zu.

Der Live-Commerce steckt in Deutschland und der Schweiz noch in den Kinderschuhen und ist nicht viel mehr als ein zartes Pflänzchen in der Welt des digitalen Handels. Welches Potenzial jedoch darin steckt, zeigen die Beispiele aus China. Die technischen Investitionen für Live-Streams sind mehr als überschaubar. Deswegen spricht nichts dagegen, bereits jetzt mit solchen Formaten zu experimentieren.

Stephan Lamprecht, Journalist

Stephan Lamprecht begleitet seit zwei Jahrzehnten als Journalist und Berater das E-Commerce-Geschehen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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