Kassenlose Läden als Mega-Trend?

Retail-Tech Kassenlose Läden als Mega-Trend?

Publiziert am 08.12.2020 von Stephan Lamprecht, Journalist

Saturn, Migros, Valora, Würth, tegut – die Liste der Händler, die mit kassenlosen Shops experimentieren, wird immer länger. Was steckt hinter diesem Trend und wie ausgereift ist das schon?

Vor wenigen Tagen hat tegut in Fulda mit «teo» den neuesten Laden ohne Kassen und (sichtbares) Verkaufspersonal eröffnet. Nach einigen Monaten Pilotbetrieb auf dem eigenen Firmengelände wagt die Kette damit den Schritt an die Öffentlichkeit. Und wie das Unternehmen mitteilt, plant es die Eröffnung von 20 solcher Stores in den kommenden 12 Monaten.

In den vergangenen zwei Jahren haben viele namhafte Handelsunternehmen ähnliche Projekte gestartet. Valora bringt die «avec box» in Stellung, die niederländische Kette Albert Heijn probiert es ebenfalls ohne Kasse, wie auch Saturn oder Migros, die Kleinstformate für Migrolino plant.

Und es geht hier nicht nur um die Endkunden, auch im B2B-Segment gibt es erste Konzepte. Bei «Würth 24» kaufen Handwerker ebenfalls rund um die Uhr in einer Filiale ohne Personal ein.

Amazon Go hat die Branche inspiriert

Für grosses Aufsehen in der gesamten Handelswelt sorgte Amazon mit seinem Konzept «Amazon Go», das das Unternehmen nach eigenen Angaben vier Jahre lang entwickelt hat, bevor Anfang 2018 der erste Laden für die Kundinnen und Kunden geöffnet wurde. Inzwischen sind knapp 20 dieser Geschäfte ohne Kassen und (sichtbares) Personal in Betrieb. Bisher handelte es sich in erster Linie um Kleinstflächen, was an der zugrundeliegenden und aufwändigen Technik liegt. Mittlerweile hält Amazon seinen Ansatz aber für ausgereift genug, um damit grössere Flächen zu bestücken. Das Unternehmen bietet die Technik offensiv anderen Handelsketten an.

Der Ansatz, die Kundinnen und Kunden gar nicht erst in einer Kassenschlange zu verärgern, hat die Branche inspiriert und eine ganze Reihe von ähnlichen Lösungen hervorgebracht, die sich im Kern auf zwei Konzepte reduzieren lassen.

Zwei Lösungsansätze

Lösungen, bei denen die Kundinnen und Kunden selbst aktiv werden müssen, sind recht leicht umzusetzen. Über eine App erhalten sie Zutritt zum Geschäft. Sie nehmen die benötigten Waren aus dem Regal und scannen diese in der vom Händler zur Verfügung gestellten App ein. Am Ende bezahlen sie direkt aus der App heraus oder an einer SB-Kasse. Dort wird dann beispielsweise ein QR-Code gescannt, der von der App erzeugt wurde.

Der Unterschied zu einem klassischen Store besteht in der Zutrittskontrolle mittels App. Im Laden werden das klassische Self Check-out und Self Scanning miteinander kombiniert. Häufig greifen die Ladenbetreiber hier auf Lösungen von MishiPay (z. B. Saturn) oder Snabble (z. B. tegut) zurück.

Deutlich anspruchsvoller (und im Kern näher am Ansatz von Amazon Go) sind die Installationen, in denen die Kunden nur die Produkte aus dem Regal nehmen und diese in ihrer Tasche verstauen. Die Erkennung der Ware verläuft aus ihrer Sicht automatisch und der Bezahlvorgang erfolgt ohne ihr Zutun. Damit dies funktioniert, müssen die Waren korrekt erkannt werden. Dazu kombinieren die Systeme verschiedene Technologien. Hierbei werden Kameras, Bilderkennung mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz und Sensoren am Regal verbunden. Ein inzwischen recht bekannter Herausforderer von Amazon in dieser Hinsicht ist das Startup Trigo aus Israel.

24/7 Stores als Nahversorger?

In Japan gehören kleine Convenience Stores (etwa von 7-Eleven) zum Alltag der Konsumentinnen und Konsumenten. Dort versorgen sich die Bewohner mit Snacks, Getränken oder Artikeln für den Alltag, für die sich der Besuch einer Mall nicht lohnt. Japan spürt indes heute deutlich den demographischen Wandel. Die Bevölkerung schrumpft und wird im Durchschnitt immer älter. Und so wird es für die Ketten zunehmend schwieriger, Personal für die kleinen Stores zu finden. So interessieren sich die Ketten für Konzepte, die ohne Kassen und Mitarbeitende auskommen.

Deutschland hat dagegen eine hohe Dichte von Lebensmittelgeschäften in den Städten. Im ländlichen Raum sieht das anders aus. Dort lohnt sich aus Sicht der grossen Ketten der Betrieb eines Marktes nicht. Andererseits besitzt nicht jeder Landbewohner ein Auto, um in die nächste Stadt zu fahren. Die kleineren Formate mit reduziertem Sortiment und flexiblen Öffnungszeiten könnten somit ihren Teil zur Versorgung solcher Regionen beitragen.

Kassenlos bedeutet nicht ohne Personal

Auch wenn die Händler in der Öffentlichkeit etwas anderes behaupten, geht es ihnen naturgemäss nicht ausschliesslich darum, das Einkaufserlebnis zu verbessern. Kassiert der Kunde selbst, fällt diese Aufgabe bei den Mitarbeitenden weg. Damit ergeben sich Effekte zur Kostenreduktion. Die kassenlosen Stores benötigen aber dennoch Personal, denn die Waren müssen wie in konventionellen Filialen eingeräumt werden.

Schiebt die Pandemie kassenlose Stores an?

Aktuell ist die mediale Präsenz kassenloser Läden deutlich grösser als deren faktische Bedeutung. Selbst wenn tegut bis Ende 2021 über 20 seiner «teo»-Läden eröffnet, wäre das knapp ein Zehntel aller Filialen. Und tegut gehört zu den kleineren Ketten.

Die Technik hinterlässt auch einige Fragen. So zeigen sich alle Betreiber dieser experimentellen Stores zwar in öffentlichen Statements stets zufrieden, allerdings ohne konkrete Zahlen zur Nutzung zu nennen. Das macht die Beurteilung der Rentabilität für die Installation der notwendigen Technik schwierig. Das gilt vor allem für Branchen, in denen die Margen eher gering sind, wie im Lebensmitteleinzelhandel.

Die wichtigere Frage ist aber, ob die Kundinnen und Kunden überhaupt Stores ohne Personal akzeptieren. Denn in den vergangenen Jahren gab es immer wieder Studien, in denen die Konsumentinnen und Konsumenten gerade die Beratung und das Personal vor Ort als einen der wesentlichen Vorteile des stationären Handels betrachtet haben.

Faktisch beraubt sich der Handel genau dieses Vorteils, wenn er konsequent und in der Fläche auf automatisierte Läden setzen würde.

Das Gebot zum Abstandhalten und die Unsicherheit vor dem Hintergrund der Pandemie machen diese Geschäfte sicherlich für eine Kundenschicht zu einer attraktiven Alternative bzw. Ergänzung zum klassischen Supermarkt. Ob die Pandemie den automatischen Stores zum Durchbruch verhilft, muss sich indes noch erweisen.

Stephan Lamprecht, Journalist

Stephan Lamprecht begleitet seit zwei Jahrzehnten als Journalist und Berater das E-Commerce-Geschehen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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