Dynamic Pricing – der künstlichen Intelligenz (KI) nicht das Denken überlassen

Dynamic Pricing Dynamic Pricing – der künstlichen Intelligenz (KI) nicht das Denken überlassen

Publiziert am 07.04.2020 von Stephan Lamprecht, Journalist

Verbraucherschützer empfinden dynamische Preise als Täuschung. Der Handel erhofft sich vom Einsatz spezieller Tools höhere Margen. In diesem Artikel lesen Sie, wie KI Preise dynamisiert und warum es oft besser ist, auch den gesunden Menschenverstand walten zu lassen.

Gegenüber dem, was aktuelle Softwarelösungen etwa von Prudsys oder Blue Yonder an Möglichkeiten für dynamische Preisanzeigen liefern, sind die Mechanismen der Tankstellen fast schon anrührend. Die saisonal und über den Tagesverlauf wechselnden Preise für Kraftstoffe sind aber gleich unter zwei Aspekten lehrreich.

Denn sie zeigen, dass die Konsumenten dynamische Preise kennen und auch lernen, damit umzugehen. Sie demonstrieren aber auch, wie eng der Korridor für die Preisakzeptanz ist. Denn von «Nepp» oder «Betrug» ist in den Medien nur dann die Rede, wenn die Mineralölgesellschaften es bei der Erhöhung übertreiben.

Preise im Nebel dank KI

Spätestens dann, wenn Softwareriese IBM in einem Segment mitspielt, ist ein Thema zum Mainstream geworden. «Big Blue» bietet seinen Kunden inzwischen auch ein von KI angetriebenes Tool für dynamische Preisbildung an. Aber was bedeutet KI in diesem Zusammenhang eigentlich?

Einfache Re-Pricing-Systeme setzen in erster Linie auf die Beobachtung der Konkurrenz und werden durch ein Regelwerk gesteuert. Senkt der Konkurrent den Preis, reagiert die Software innerhalb eines vom Händler definierten Rahmens. Verständlicherweise lassen sich die Softwareanbieter für Dynamic Pricing nicht direkt in die Algorithmen schauen. Ihre Systeme sind indes komplexer zu steuern und werden an die Strategien der Händler angepasst.

Einige Parameter bei der Preisbildung liegen fast auf der Hand. Dazu zählen:

  • Zeit: Die Tageszeit, aber auch saisonale Gegebenheiten werden berücksichtigt. In der Vorweihnachtszeit steigen die Preise, danach fallen sie. Tagsüber werden Produkte etwas günstiger angeboten, während sie am Abend dann wieder ansteigen. Es könnte sogar auf besondere Ereignisse, wie Sportübertragungen reagiert werden.
  • Peaks: Die Systeme reagieren auf steigende Nachfragen nach bestimmten Produkten. Zieht ein Aussenseiter in die Endrunde einer Fussballmeisterschaft ein, wächst das Interesse an Merchandising-Produkten. Das lässt sich auch in zwei Richtungen spielen, in dem zunächst die Preise der Mitbewerber unterboten werden. Erkennen die Systeme, dass die Konkurrenten plötzlich Lieferzeiten für das Produkt angeben müssen, lassen sich, sofern Lagerbestand vorhanden, höhere Preise durchsetzen.

Das klingt zunächst sehr simpel, ist aber insgesamt eine komplexe Angelegenheit. Denn damit die KI autark die richtigen Entscheidungen treffen kann, muss das System experimentieren und lernen. Und dazu bedarf es einer Menge an historischen Daten, die mit weiteren Informationen angereichert werden.

So ausgerüstet untersucht das System laufend die Wechselwirkung zwischen Preisen und Umsatz. Der hypothetisch optimale Preis wird unter Verwendung von A/B-Tests im laufenden Betrieb bestätigt oder widerlegt. Komplex wird es, wenn das System auch zugleich Produktempfehlungen abgeben soll. Anspruchsvolle Lösungen berücksichtigen Abhängigkeiten zwischen Komplementärprodukten oder Substitutionsartikeln. So kann das System den Verkauf von Alternativen favorisieren, die grössere Margen bieten, wobei dann auch der Lagerbestand berücksichtigt wird. Dynamic Pricing von der Stange gibt es so direkt nicht.

Den Bogen nicht überspannen

Das Taxieren eines Kunden gehört beim Handel einfach dazu. Anhand von äusseren Merkmalen herauszufinden, ob der Kunde überhaupt solvent ist und welchen Preis er wohl für eine Ware bezahlen wird, fand und findet im stationären Handel statt. Die meisten Kunden haben es im SB-Zeitalter mit elektronischen Etiketten und der Recherchequelle Internet nur vergessen.

Dynamic Pricing eröffnet dem Taxieren neue Dimensionen. Käufer von Apple-Produkten gelten gemeinhin als besserverdienend. Anhand der von seinem Gerät ohnehin automatisch übermittelten Kennung wäre es somit in einem Onlineshop problemlos möglich, dem Apple-Nutzer für eine Reise oder ein Produkt einen höheren Preis als anderen Kunden anzuzeigen. Ein konstruiertes Beispiel meinen Sie? Mitnichten. Google wird Sie mühelos zu Berichten führen, die solche Strategien dokumentieren. Es liegt in der Natur der Sache, dass es hier auch zu Irrtümern kommt. Die unterlaufen einem Juwelier, der einen Kunden anhand des bei der Ankunft genutzten Autos oder seiner Kleidung einschätzt, allerdings auch.

Verbraucherzentralen und Ratgebersendungen haben inzwischen bei den Konsumenten das Bewusstsein für solche Strategien geweckt. Die beginnen damit, sich zu wehren, beispielsweise mit der Nutzung von «Privacy-Boxen», die keine Kennung des eigenen Computers oder Smartphones übermitteln.

Ohnehin sollten sich Händler fragen, ob sie die Möglichkeiten des Dynamic Pricing ausreizen sollten. Nicht alles, was die KI so kann, ist auch auf längere Sicht durchdacht. Die Marge am einzelnen Kunden mag zwar höher sein, aber was nutzt das, wenn der Kunde verärgert ist und nicht mehr wiederkommt?

Schwankende Preise gehören zu einer Marktwirtschaft dazu. Und Dynamic Pricing unterstützt den Händler bei seiner Absatzstrategie. Auf die Spitze getrieben, kann die Technologie aber auch schädlich sein.

Stephan Lamprecht, Journalist

Stephan Lamprecht begleitet seit zwei Jahrzehnten als Journalist und Berater das E-Commerce-Geschehen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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