Was bewegt den Handel 2020?

«Auch im kommenden Jahr hissen hiesige Filialisten die weisse Flagge – entweder durch Konkurs oder Unterschlupf bei einem ausländischen Händler. Die Digitalisierung und Frankenstärke befeuern den grenzüberschreitenden Handel; reine Schweizer Händler kämpfen um ihre Existenz. Im Non-Food Onlinehandel wachsen Handelsplattformen und Marktplätze. Überproportional gewinnen werden Amazon, AliExpress, Wish, Zalando sowie die Schweizer Player Brack, Digitec/Galaxus und Microspot. Im E-Food mehren sich Anzeichen ernsthafter Investitionsabsichten grosser Detailhändler. Gut möglich, dass eine der vor sich hindümpelnden Formate Coop@home oder Leshop mit einem skalierbaren, digitalen Omnichannel-Angebot abgelöst wird.»

Matthias Bucheli, Leiter Competence Center Digital Commerce, Post CH AG

«Der aktuelle Trend, dass Sortimente nur noch Frequenzbringer und nicht mehr Margenbringer sind, wird sich auch 2020 weiter fortsetzen. Für Händler wird es daher noch wichtiger, sich von einem Sortiments- zu einem Lösungsanbieter weiterzuentwickeln. Unserer Meinung nach werden sich die Händler am Markt durchsetzen, die es schaffen, echte Lösungen für Probleme im Alltag der Menschen zu entwickeln. Dafür gibt es heute schon hervorragende Beispiele wie Keller Sports, die mit ihrem intelligenten Loyalitätsprogramm Keller Smiles Kunden nachhaltig an sich binden. Noch gibt es meiner Meinung nach Raum zum klassischen Handelsmodell weitere Serviceumsätze aufzubauen. Je länger man sich aber Zeit lässt, umso härter wird der Verdrängungswettbewerb, der vor allem Amazon weiter in die Hände spielt.»

Ruppert Bodmeier, CEO, disrooptive.com

«2020 steigen die Herausforderungen für den Handel. Drei Punkte sind zu beachten:
1. EASY: 2020 kommt die Schweizer DSGVO. Der proaktive Umgang mit Datenschutz ist ein Wettbewerbsvorteil. Ein Konzept kann in neun Schritten erarbeitet werden. Viele Retailer und Onlineshops haben ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht.
2. SEXY: Schaffe nachhaltige Kundenerlebnisse (auch im B2B) durch die Verbindung von analogem und digitalem Storytelling. Unternehmen, die beide Welten verbinden, punkten und erreichen die Kunden emotional.
3. SMART: Es ist entscheidend, die digitale Transformation voranzutreiben: IoT, Blockchain, Marketing Automation, AI und Web-TV stehen. Eine laufende Optimierung der Verkaufsaktivitäten ist unabdingbar. Techniken wie Kanban, Lean Startup, Design Thinking und Customer Journey Mapping helfen bei der Optimierung der Customer Experience.
Diese Punkte stärken das Kundenerlebnis und bieten frische Ideen für die Verbindung von analog und digital.»

Prof. Martina Dalla Vecchia, Dozentin, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW – Institut für Wirtschaftsinformatik

«Während die Handelsdiskussionen in den Jahren 2015 bis 2019 in vielen europäischen Ländern noch geprägt waren von der beeindruckenden Dominanz von Amazon, werden wir in den nächsten Jahren versuchen zu verstehen, wie die asiatischen Plattformen, insbesondere per Smartphone-Apps, so viel schneller und relevanter mit unseren Kunden kommunizieren können. Amazon tritt als Handelsplattform zunehmend in den Hintergrund und baut seine Position als E-Commerce-Infrastruktur (Lagerung, Logistik, Payment) zunehmend aus. Der Ruf nach mehr Regulierung bleibt von allen Seiten gleich laut und wirkungslos, allerdings wird er weniger Amazon und Facebook betreffen.»

Alexander Graf, Co-CEO Spryker Systems

«Der Handel ist aktuell mit großen Herausforderungen konfrontiert. Die Digitalisierung und ihre Möglichkeiten haben die Konsumentinnen und Konsumenten extrem anspruchsvoll gemacht. Der Onlinehandel funktioniert immer besser, schneller und bequemer – diese Entwicklung wird auch 2020 weitergehen. Darauf muss der stationäre Handel reagieren und versuchen, Kundinnen und Kunden Mehrwert über die Produkte hinaus zu bieten. Kundenerlebnisse werden auch durch digitale Lösungen ständig optimiert: Apps mit mehrwertstiftenden Virtual-Reality-Funktionen oder intelligente Umkleidekabinen sind längst keine Zukunftsmusik mehr. Was erfolgsversprechende Konzepte online wie offline gemeinsam haben: Sie fokussieren sich auf den Kundenmehrwert! Zumindest für Kundinnen und Kunden wird 2020 grossartig.»

Dr. Kai Hudetz, Geschäftsführer, IFH Köln

«Mit dem Omnichannel ist einiges verkehrt gelaufen. Es geht zu sehr um Effizienz, Ökonomie, Kanäle, Bequemlichkeit. 2020 muss der Handel entdecken, dass das Vergnügen und die Magie des Einkaufs entscheidend sind. Kundinnen und Kunden nutzen, aber schätzen nicht die Dinge, die logisch sind. Lieben Sie Amazon? Kundinnen und Kunden wollen Dinge, die eine Bedeutung haben und Gefühle auslösen. In einer Welt, die zunehmend von Algorithmen bestimmt wird, gilt es, die unbewussten Bedürfnisse zu erfüllen. Erinnern Sie sich: Mirácoli-Werbung verkauft schließlich keine Nudeln, sondern die Liebe der Familie. Anders gesagt: Wenn jeder überall Bananen verkaufen kann, entscheidet sich der Kunde für den Händler, der diesen Kauf mit Emotionen und Sinn aufladen kann. Gefühle und Purpose sind daher die Superwaffen im Handel 2020.»

Olaf Kolbrück, Redaktionsleiter, etailment

«Der Onlinehandel wird auch 2020 seine Wachstumsgrenze noch nicht erreicht haben. Die grossen Gewinner dieser Entwicklung sind die Plattformen, die aus dem Ausland kommen. Die Professionalisierung im Onlinehandel ist stark fortgeschritten und so wird es nächstes Jahr nicht nur weitere Schliessungen von stationären Läden geben; auch Onlinehändler, die nicht Schritt halten können, müssen daran glauben. Trotz dieser vermeintlich düsteren Aussichten: Schweizer Händler und Hersteller lassen sich nicht davon beirren. Die Chancen der Digitalisierung werden genutzt werden, namentlich zur Entwicklung neuer Retail-Konzepte, zur geschickten Nutzung von Daten oder zum Auslassen von Handelsstufen. Geschäftsmodelle, die sich ausserdem dem Thema Nachhaltigkeit widmen, haben höhere Erfolgschancen.»

Alexandra Scherrer, Digital Consultant, Carpathia AG

«Angebotswelten und Einkaufserlebnisse werden auch 2020 den stationären Handel beschäftigen. Verkaufsstandorte als erweiterte Warenlager und Verkaufspersonal als Gestellauffüller einzusetzen, werden die Kundinnen und Kunden immer weniger akzeptieren. Der Kunde will in Zukunft ein Rundumerlebnis mit Ambiente und erstklassiger Beratung. Der Onlinehandel wird da mitziehen müssen. Die Zeit der pixeloptimierten Onlineshops ist vorbei. Auch Online möchte der Kunde sein Einkaufserlebnis haben. Dazu gehört auch ein exzellenter Service Après Vente. Die Zeit gesichtsloser und austauschbarer E-Shops wird der Vergangenheit angehören. Individualität und herausragende Customer Experience rücken ins Zentrum.»

Markus Peter, Organisator Connecta Bern, Post CH AG

«Voice Commerce, das sprachgesteuerte Interface zwischen Kunden und E-Commerce-Anbietern, wird sich 2020 massiv verbreiten. Durch die zunehmende Präsenz von Voice Interfaces wie bei Smartphones, Smartwatches, smarten Lautsprechern, Auto-Boardsystemen usw. werden Konsumentinnen und Konsumenten deren Komfort und Schnelligkeit nicht mehr missen wollen. Dank grossen Investitionen in Technologien wie künstliche Intelligenz und Maschine Learning werden die Voice Interfaces deutlich besser und massentauglicher. Sie ermöglichen Onlineshops mit ihren Angeboten an neue Orte und Micro-Moments der Kunden vorzudringen – wie z.B. ins Schlafzimmer, ins WC, beim Duschen, beim Velofahren usw. Damit lässt sich der Kunde noch besser erreichen und zwar genau dann, wann er ein Bedürfnis hat, auch wenn er keine Hände frei hat.»

Michael M. Nussbaumer, Leiter und Dozent CAS Onlineshop and Sales Management, Hochschule Luzern HSLU

«Der Onlinehandel kennt bekanntlich keine Grenzen. Unter den zehn beliebtesten Onlineshops der Schweiz kommen vier aus dem Ausland. Schweizer geben gerne ihren Onlinefranken im Ausland aus und profitieren häufig von niedrigen Preisen. Wenn wir die Studienergebnisse des E-Commerce-Stimmungsbarometers über die letzten vier Jahre analysieren, wird sichtbar, dass der Einkauf von asiatischen Waren auf ausländischen Marktplätzen immer mehr an Akzeptanz gewonnen hat. Dieser Trend wird weiter zunehmen. Wie können sich Schweizer Händler gegenüber der ausländischen Konkurrenz behaupten? Schweizer Händler wissen, wie ihre Kunden ticken und können diesen Wettbewerbsvorteil nutzen. Der Key liegt in der Kundennähe und -zentrierung, auf eine persönliche Kundenansprache zu setzen und den Kunden wertzuschätzen. Kurzum sollte man ein tolles Kundenerlebnis bieten – so bleibt der Shop im Top of Mind.»

Ricarda Raemy, Customer Insights Specialist, Post CH AG

«Die Bedeutung der Schnäppchenjagd und der Erlebniseinkäufe nimmt weiter zu. Weiterführung vieler bereits bestehender Sale- und Event-Arten und auch deren Neukreierung, wie beispielsweise (Early) Pre-Season Sale, (Pre to) Mid Season Sale, (Really) Late Season Sale, No-it’s-still-not-over Season Sale. Dies gerne in Kombination mit Events wie dem Black Friday, Cyber Monday oder Singles’ Day. Aber dies ist sicher nicht genug. Hier wird der Handel kreativ sein und es gibt neue (Sale-)Events für die Shoppenden dieser Welt, denn auch 2020 wird für neue Einkaufserlebnisse gesorgt. So nehmen auch Pop-up und Experience Stores weiter zu. Dies alles mit der Herausforderung einer möglichst geringen CO₂-Bilanz. Speziell Letzteres wird in den kommenden Jahren stark an Bedeutung zunehmen.»

Prof. Dr. Kim Oliver Tokarski, Leiter Weiterbildung, Berner Fachhochschule

«Die Sensibilität für echte Nachhaltigkeitsthemen wird weiter zunehmen, der Anspruch an einfache digitale Hilfsmittel wird weiter steigen und die Erreichbarkeit der Kundinnen und Kunden wird noch individueller und anspruchsvoller. Was hingegen bleibt, sind der Anspruch an qualitativ hochwertige Produkte, die Affinität für einen günstigen Preis und die Freude an einem positiven Erlebnis bei einem persönlichen Kontakt mit freundlichen und hilfsbereiten Mitarbeitern. Diese Entwicklungen stimmen mich zuversichtlich, dass die LANDI sich auch Ende 2020 wieder über ein erfolgreiches Jahr freuen wird.»

René Kaiser, Leiter Kommunikation, LANDI Schweiz

«Die aktuell immer wieder genannten Trends wie KI oder Voice werden auch 2020 noch kein Unternehmen vor dem Untergang bewahren. Darum sind die folgenden beiden Themen zentral für 2020:
Daten, Daten, Daten: Der Handel muss sich fit machen für die Zukunft und ihre Aufgaben in den Kernsystemen lösen. Die Harmonisierung der Datentöpfe ist in Zukunft das zentrale Thema, um erfolgreich zu Geschäften. Der Händler muss die Customer Journey seiner Kunden verstehen und ihnen an den relevanten Touchpoints zur Verfügung stehen.
D2C, dafür mit mehr Serviceleistungen: Die Hersteller werden vermehrt den direkten, stufenlosen Vertrieb anbieten. Die Preise werden von den Herstellern nicht angefasst, die besseren Erträge werden in den optimalen Service für den Endkunden investiert. Des Weiteren werden für die Hersteller natürlich auch die Kundendaten immer relevanter, um ihre Produkte auch in Zukunft erfolgreich zu vertreiben.
Neben diesen beiden Themen wird natürlich auch 2020 vermehrt über das Thema der Organisationsformen nachgedacht.»

Andreas Wüthrich, Head of Digital Commerce Consulting, Post CH AG